: Ein Charakter wie ein Fünfeck
■ Künstler aus den Niederlanden zeigen Zeitgenössisches im Havenspeicher Vegesack – und vervollständigen damit die Ausstellungsreihe „Topographie des Gedächtnisses“. Der Schwerpunkt der Niederländer: Neue Medien
Gut, mancher mag es seltsam finden, sich zwischen klobigen Holzbohlen, rauhverputzten Wänden und Dachbodenmuff in einer poppigen Neon-Comicwelt wiederzufinden. Bram van Waardenberg jedenfalls, ein Rotterdamer Künstler und Mit-Kurator der Ausstellung, mag die schrille Ecke mit den quietschgrünen Außerirdischen und rosa Skeletten mit Clownsnasen., eine Arbeit der Rotterdamer Künstlergruppe Artoonism. Im alten Havenspeicher treffen aktuelle Kunstrichtungen aus den Niederlanden aufeinander.
Van Waardenbergs Welt sind jedoch die Axiome der Geometrie: „Um mich herum sehe ich nur Rechtecke, die Häuser, meine Möbel, alles. Das passt so gut zusammen. Nur die Menschen, die darin leben nicht.“ In seiner Welt bestehen menschliche Charaktere aus Fünfeck-Kombinationen. Die auf Leinwände gedruckten schwarzen Gitter konstruiert er am Computer, dabei entwickelt jedes Gebilde einen individuellen Charakter. Wie bei den Menschen passen manche Fünfecke wunderbar zusammen, andere wieder überhaupt nicht.
Van Waardenbergs Theorie lässt sich ebenso auf die Gesellschaft übertragen: Enthält ein System zu viele Fünfecke und kommen zu schnell immer neue dazu, dann endet das Ganze im Chaos. Zu hohe Stabilität andererseits behindere den Fluss und sei gleichzusetzen mit Diktatur. „Ich bin an einem Punkt, wo ich verstehe, was in mir ist“, erläutert der Künstler und blickt wie zur Bestätigung auf seine Fünfeck-Konstruktionen.
Insgesamt elf niederländische Künstler zeigen ihre Installationen, Videos oder Fotografien im Alten Havenspeicher. Zwei davon, Henk v.d. Haar und Angelo Evelyn, sind die Kuratoren. Sie sind durch ganz Holland gefahren auf der Suche nach Werken und Künstlern, die in das Ausstellungskonzept passen. Das Ergebnis ist eine sehr heterogene Gruppe, die Einblick in die Vielfalt und Lebendigkeit der dortigen zeitgenössischen Kunst gibt. Und das war schließlich auch Ziel der gesamten Ausstellungsreihe: ein Dialog der Nachbar-Kulturen.
Die wohl beeindruckendste Installation stammt von Lieselot Ijsendoorn. Ihre Grundlage ist Natürlichkeit, sie filmt kleine Zappelfische oder andere Tiere und projiziert sie auf eine gewölbte Fläche mit Silbersand.
So liegt auf dem alten Holzboden plötzlich ein „Hippopotamus“. Der Nilpferdkopf, der aus dem Wasser lugt, wirkt so verblüffend echt, dass man jeden Moment erwartet, er gähne einem Schwälle muffiger Magenluft ins Gesicht. „Sie experimentiert mit unserer Wahrnehmung“, erklärt Bram van Waardenberg, „teilt die Realität in zwei Teile: ein Bild und einen Untergrund. Eine Art Verfremdung.“
Die erste Ausstellung des Zyklus – deutsche und tschechische Kunst – beschäftigte sich mit Mensch und Natur. Die darauf folgenden polnischen Künstler betrachteten den Menschen im Zusammenspiel mit der Gesellschaft. „Die niederländischen Künstler benutzen viele neue Medien, hier ist die technische Entwicklung Thema“, stellt AusstellungsbetreuerinLibuse Cerna fest. „Dennoch setzen sich viele der Künstler durch die Medien mit dem Thema Natur auseinander. Damit schließt sich der Kreis wieder.“
spo
Die Ausstellung ist noch bis zum 7. Oktober täglich außer montags von 12 bis 18 Uhr im Alten Havenspeicher Vegesack zu sehen.
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