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Schafsleben in Wales

Rechts der Linie werden die Herden gekeult, links bleiben sie am Leben. Bauer Brychan Stephens hat das Vertrauen in die Politiker verloren

aus den Brecon BeaconsRALF SOTSCHECK

„Dort drüben haben sie gestern dreitausend Schafe getötet“, sagt Brychan Stephens und zeigt auf eine Stelle vor dem Tor seines Hofs. Der kleine, kräftig gebaute 37-Jährige züchtet Bergschafe in den Brecon Beacons, der Bergkette im südlichen Wales. Seine Cumcynwyn Farm, die schon sein Großvater bewirtschaftete, liegt hoch oben auf einem Hügel. Nördlich davon zieht sich das Tal hin bis nach Brecon, dem Hauptort. Vorigen Monat sind in Libanus, nicht weit von Cumcynwyn, bei mehreren Schafen Antikörper gegen die Maul- und Klauenseuche gefunden worden. 10.000 Tiere wurden daraufhin vom Ministerium getötet. „Sie haben eine Art Pufferzone geschaffen und alle Tiere innerhalb dieser Zone umgebracht“, sagt Stephens. „Über unseren Berg haben sie einen Zaun gezogen. Die Tiere rechts des Zauns wurden getötet. Meine Eltern, denen der Nachbarhof gehört, haben alle Tiere verloren. Die Schafe auf der linken Seite sollten am Leben bleiben. Doch am Wochenende kamen die Leute vom Landwirtschaftsministerium zurück und verlangten, dass mein Nachbar Terry Lowe und ich unsere Schafe von der linken Seite des Hügels ins Tal holen, wo sie getötet werden sollten. Die anderen Schafe, die dort grasten, ließ man in Ruhe.“ Stephens und Lowe weigerten sich. „Was ist das für ein Kriterium zur Seuchenbekämpfung?“, fragt Stephens, „wenn man die Schafe von zwei Bauern tötet, die anderen Tiere aber am Leben lässt, obwohl alle gemeinsam auf dem Berg gegrast haben?“ Schließlich fingen die Männer vom Ministerium 54 von Lowes 120 Schafen ein und erklärten den Fall für erledigt. „Der walisische Landwirtschaftsminister Carwyn Jones behauptete im Fernsehen, Lowe wisse gar nicht, wie viele Schafe er besitzt“, sagt Stephens und lacht, bis ihm die Tränen die Wangen herunterlaufen. „Der hält uns wohl alle für blöd.“

Vor zwei Wochen marschierten 2.000 Bauern zur Londoner Downing Street, dem Amtssitz von Premierminister Tony Blair, und überreichten ihm einen Protestbrief. Darin verlangten sie eine öffentliche Untersuchung der Maul- und Klauenseuche. Doch Blair gab lediglich drei Untersuchungen in Auftrag, deren Ergebnisse nicht bekannt gemacht werden sollen.

David Handley ist Gründer der Organisation „Farmers for Action“ und führte voriges Jahr die Bauernproteste gegen die Benzinpreiserhöhungen an. Er besitzt einen Bauernhof zehn Kilometer von Libanus entfernt. Die Misswirtschaft des neu gegründeten Ministeriums für Umwelt, Lebensmittel und ländliche Angelegenheiten (Defra) hält er für „unerträglich“. Die Defra habe viel zu spät reagiert und unklar informiert. Darüber hinaus hätten sich die Politiker der Lobby der Großbauern gebeugt und Impfungen gar nicht erst in Erwägung gezogen. Handley warnt, die Protestaktionen der Bauern würden in den nächsten Wochen zunehmen. Brecon Beacon werde dabei ein Brennpunkt sein, denn eine höhere Dichte von Schafen gibt es kaum in Britannien.

Die walisischen Bauern fühlen sich von Londons Politikern vernachlässigt. Es gibt kaum Desinfektionsmatten auf den Straßen, selbst dort, wo die kranken Tiere getötet wurden. Dabei sind die Schafe der Brecon Beacons besondere Tiere, ihre Stammbäume reichen bis zu 2000 Jahre zurück. Sie können sich auf uneingezäuntem Gebiet orientieren, und dieses Wissen geben die Mutterschafe an ihre Lämmer weiter. Werden die Mutterschafe gekeult, geht diese Fähigkeit verloren. Doch ihr Bestand ist bedroht. In diesem Monat holen die Bauern ihre Herden in die Täler, weil das Gras auf den Bergen nicht ausreicht. So ist eine weitere Ausbreitung der Seuche schwer zu verhindern. In Crickhowell im Norden der Brecon Beacons brachten die Bauern ihre Schafe im August zum Scheren ins Tal, ohne zu wissen, dass einige infiziert waren. Als die Schafe wieder auf dem Berg waren, hatten sie bereits drei Rinderherden im Tal infiziert.

Die Seuche könnte auch das ökonomische Ende der walisischen Bergbauern bedeuten. Schon heute liegt ihr Durchschnittsalter bei 59. Edwin Harris, dessen Herde in Libanus als erste getötet wurde, sagt: „Ich kann den Schmerz nicht beschreiben. Es gibt hier nichts außer Landwirtschaft und Viehzucht, und davon ist nichts mehr übrig. Was sollen die jungen Leute hier? Es gibt keine Zukunft.“ Seit Ausbruch der Maul- und Klauenseuche haben sich einige Bauern umgebracht. Brychan Stephens ist dennoch optimistisch: „Ich glaube, wir haben das Schlimmste hinter uns.“

Damit sich die Seuche nicht weiter ausbreitet, wurden sämtliche Fußwege in den Brecon Beacons gesperrt. Touristen, die die Landschaft des walisischen Nationalparks genießen, sind selten. Voriges Jahr kamen 3,6 Millionen, doch in diesem Jahr hat die Seuche die Saison verdorben. Selbst am verlängerten Augustwochenende, wenn es in normalen Zeiten auf den Wanderwegen von Spaziergängern nur so wimmelt, verlor sich eine Hand voll Menschen in den wenigen noch geöffneten Ausflugslokalen. Jaye, eine rundliche Mittdreißigerin, arbeitet im Fremdenverkehrsamt in Brecon am Nordrand des Nationalparks. „Es war eine Katastrophe in diesem Jahr“, sagt sie. „Alle wollten auf den Pen Y Fan, den höchsten Berg im südlichen Britannien. Aber der ist gesperrt. Alle Wanderwege in dieser Gegend sind gesperrt.“ Selbst viele Rastplätze sind mit dem blauweißen Polizeiband abgeriegelt.

Huw Lewis, der 37-jährige Labour-Abgeordnete des walisischen Regionalparlaments, ist für die südlichen Ausläufer der Brecon Beacons zuständig. Er war eine Zeit lang Staatssekretär im Bildungsministerium, ist aber im Zuge der Maul- und Klauenseuche aus Protest zurückgetreten: „Die Regierung plante, 350.000 Tierkadaver am Rand der Brecon Beacons zu vergraben“, sagt er. „Uns hat sie gar nicht nach unserer Meinung gefragt. Durch meinen Rücktritt wurde das Massengrab verhindert.“ Die Regierung weiß kaum noch, wohin mit den Tierkadavern. Es gibt Pläne, verschiedene Massengräber wieder zu öffnen und zu vergrößern. Die Einzelheiten werden jedoch geheim gehalten, weil man Proteste und Demonstrationen befürchtet.

Lewis glaubt nicht, dass es eine Alternative zum Tötungsprogramm gibt. „Für Impfungen ist es zu spät“, sagt er. „Man hat mit den Massentötungen angefangen, nun muss man es auch zu Ende bringen. Es ist wie im Ersten Weltkrieg. Da hat man ja mit der Schlacht an der Somme auch nicht nach einem Tag aufgehört, nur weil es schlecht lief.“ Naturschützer befürchten, dass die Brecon Beacons verwildern werden, wenn die Schafe das Gras und Gestrüpp nicht mehr kurz halten. Lewis ist anderer Meinung. Er hält die Zucht von Bergschafen für Sentimentalität. „Schafe verbessern die Landschaft nicht“, sagt er. „Früher bestanden die Brecon Beacons auch nicht aus Hügeln mit kurzem Gras. Man sollte es so machen wie in Schottland. Dort hat man ganze Landstriche sich selbst überlassen. Es entstanden Wälder, Hirsche und Biber konnten wieder angesiedelt werden, und die Gegend wurde für den Tourismus interessanter. Touristen bringen mehr Profit als Schafe. Wozu züchtet man Millionen von Schafen, die keiner will? Es geht dabei doch nur um EU-Gelder. Die Landwirtschaft ist die einzige Industrie, die einen Sonderstatus hat. Die Seuche und der ganze Schadenersatz haben dafür gesorgt, dass wir in Wales kein Geld mehr für die Programme zur Bekämpfung der Armut haben.“

Trotz allem will Brychan Stephens seine Herde wieder aufbauen. Vier Monate lang darf er dann keine Schafe auf den Berg lassen. Danach muss er einen Schafhirten einstellen, denn die neuen Schafe haben nicht den Orientierungssinn der Bergschafe. Um sich finanziell abzusichern, hat Stephens begonnen, seine Scheune in eine kleine Pension umzubauen, die er nächstes Jahr an Touristen vermieten will. „Der Tourismus erholt sich schneller von der Seuche als die Schafzucht“, sagt er. „Die Politiker haben offenbar beschlossen, die Brecon Beacons von Schafen zu befreien.“

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