piwik no script img

Die Angst versperrt den Weg zum Frieden

Eine slawische Familie wohnt inmitten von Albanern. Der Vater will nicht, dass die Armee abzieht, und baut Barrikaden

TETOVO taz ■ Zuerst will er nicht mal seinen Vornamen nennen. Dann überlegt er sich es doch: „Sag einfach Mire.“ Der rund 60-jährige Mann schaut sich mehrmals um. Und führt den Fremden schnell von der Straße weg zu seinem von Mauern umgebenen Grundstück. Erst als die eiserne Gartentüre verschlossen ist, hellen sich seine Gesichtszüge auf. „Ich darf Sie herzlich in meinem Haus begrüßen.“

Mire ist ein slawischer Mazedonier. Und er wohnt mit seiner Familie in der von Albanern dominierten mazedonischen Stadt Tetovo. Genauer gesagt im Stadtteil Drenović im Osten der Stadt nahe dem Vorort Potok, der von der UÇK beherrscht wird. Kaum 300 Meter nördlich steigen die Berge auf, deren 20 Kilometer entfernter Höhenzug die Grenze zum Kosovo bildet. In den Bergen hatte die UÇK im März den Kampf begonnen.

Er deutet auf die an den Hängen gut sichtbaren Weingärten. „Der dort, neben dem Schuppen, das ist mein Weingarten. In diesem Jahr konnte ich nicht mehr dort hingehen.“ Die UÇK habe sich eingenistet. Auch die am Fuße der Berge gelegene Kirche konnten die orthodoxen Christen nicht mehr besuchen. „Ich sagte meiner 90-jährigen Mutter, sie dürfte jetzt nicht sterben, denn wir wissen nicht, wo wir sie begraben sollen. Der Friedhof ist neben der Kirche.“

Mires Haus liegt in einem Nest von mazedonischen Häusern, in den Nachbarhäusern leben auch eine türkische und eine Romafamilie. Schon drei Häuser weiter in alle andere Richtungen, wohnen Albaner. Am Hang des Bergzuges sind zerstörte Häuser zu erkennen. „Die Albaner haben die in den letzten Jahren gekauft. Sie haben das nur wegen des Krieges gemacht, um strategisch günstige Stellungen zu haben“, vermutet er.

Mire ist verbittert: „Auch Tetovo wollen sie.“ Die Unsicherheit für seine Familie macht ihm zu schaffen, obwohl schon seit einigen Tagen nicht mehr geschossen wird. Sein Haus hat vorher einige Kugeln abbekommen. Aber das sind nicht die einzigen Sorgen der Familie. Frau Stojanka hat süßen türkischen Kaffee zubereitet, wie er hier getrunken wird. Sie sagt: „Wir haben beide in Deutschland gearbeitet, er 18 und ich zehn Jahre lang, aber wir bekommen keine Rente.“ Mire ist arbeitsunfähig geworden, hat sich als Arbeiter in Mönchengladbach übernommen. Von den umgerechnet 160 Mark Rente, die ihnen der mazedonische Staat bezahlt, könnten sie nicht leben. „Jetzt wollen die deutschen Behörden, dass er nach Deutschland zu einer amtsärztlichen Untersuchung kommt, die hiesige Untersuchung reicht ihnen nicht aus.“ Sie weist auf einen Papierstapel. Aber wie solle ihr Mann Geld auftreiben und überhaupt aus Tetovo herauskommen?

Mire und seine Frau haben Angst, das Haus zu verlassen und durch das von Albanern beherrschte Stadtzentrum zu fahren. Beide trauen dem Frieden noch nicht. Er müsse noch jede Nacht mit seinen Nachbarn Wache stehen. Wie alle Mazedonier ist auch Mire bewaffnet. Sein Sohn ist als Reservist für die Polizeitruppen eingezogen worden.

Mire hat nicht die ganze Wahrheit erzählt. Nichts von den Angriffen der Helikopter und der mazedonischen Artillerie, die vor vier Wochen auf die albanischen Häuser in direkter Nachbarschaft feuerten. Nichts von den mazedonischen Scharfschützen, die noch vor kurzem in die albanischen Viertel zielten. Doch er spricht offen darüber, dass er mitgeholfen hat, die Armee daran zu hindern, Stellungen am Berg zu verlassen, wie es die Absprache mit der Nato vorsieht. Im Gegenzug zur Entwaffnung der UÇK sollte auch die mazedonischeArmee ihre Artillerie zurückziehen. „Ohne die Armee fühlen wir uns hier in unserem Viertel unsicher.“

Kaum 50 Meter vom Haus entfernt ist ein Kontrollpunkt der Armee eingerichtet. Die vor dem Hauptstraße vor dem Haus führt zum Grenzübergang Jashince und damit ins Rebellengebiet sowie in drei slawisch-mazedonische Dörfer. In einem stillschweigenden Übereinkommen war es den Albanern erlaubt, eine Parallelstraße zu nehmen, die den Kontrollpunkt der Armee umging, während die UÇK den Verkehr in die drei slawischen Dörfer nicht behinderte.

Mire hat vorige Woche mitgeholfen, die Umgehungstraße der Albaner mit Tonnen und Barrikaden zu blockieren. Und damit eine Gegenreaktion der Albaner ausgelöst. Die versperrten am letzten Freitag kaum 500 Meter entfernt ihrerseits die Straße und schnitten damit den Zugang zu den drei slawisch-mazedonischen Dörfern ab. Der diesmal ohne Waffengewalt ausgetragene Konflikt eskalierte und schaffte den slawischen Parteien am letzten Samstag den Vorwand, die Parlamentssitzung zur Annahme der Verfassungsänderungen zwischenzeitlich auszusetzen.

Mire hat dazu beigetragen, den Frieden zu blockieren. Aus Angst und Misstrauen. „Mire, wie kann man Frieden machen?“ Er zuckt nur mit den Achseln. „Erst wenn die Nato-Truppen hier ständig patrouillieren, könnten wir vielleicht aufatmen,“ antwortet er. ERICH RATHFELDER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen