: Gipfel der Versöhnlichkeiten
Joachim Gauck vergaß auch beim Plausch mit dem Bundespräsidenten, Fragen zu stellen
Nein, sie haben sich nicht mit Bruder Johannes und Bruder Joachim angesprochen. Aber alle haben heimlich darauf gewartet.
Allerdings sollen in der Redaktion von „Joachim Gauck“ Wetten angenommen worden sein, wer von den beiden das erste Bibelzitat bringen würde. Gauck also im Gespräch mit Johannes Rau –„mehr als nur ein Interview“ hatten die ARD-Werbestrategen versprochen und wahrlich, es war ein Gipfeltreffen ganz im Geist der Bergpredigt.
Wer nun die Sendungen der vergangenen Monaten verfolgt hat, weiß, dass Gauck dann am schwächsten ist, wenn er sich seinen Gästen besonders nah fühlt. Distanz, eine Grundtugend des guten Interviewers, sucht der ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen nicht, viel lieber mag er die Gemeinsamkeit. Darum stellte er auch dem Bundespräsidenten Fragen, die keine waren: „Meine Sorge – und ich frage mich, ob Sie die teilen – ist, dass dem Gespräch über Politik durch die Banalisierung Schaden zugefügt wird . . .“ Und auch die Eingangsfrage, ob Rau denn auch so schöne Urlaubsfotos mitgebracht habe wie Scharping, war nur der Auftakt für ein staatsmännisch im Duett vorgetragenes Lamento über die Beschädigung der Politik durch die Inszenierung des Privatlebens.
Nun ist ein Interview mit dem Bundespräsidenten selbst für einen ausgewachsenen Journalisten keine leichte Aufgabe. Aber es ist vollends zum Scheitern verurteilt, wenn man wie Gauck nicht fragt, sondern bei seinem Gesprächspartner Bestätigung sucht („. . . muss der Bundespräsident nicht auch manchmal warnen, wenn es zu viel des Guten wird . . .?“). Viel zu lange spekuliert Gauck mit Rau darüber, was passieren müsste, damit der Bundespräsident die Unterschrift unter ein Gesetz verweigern würde. Die Konditionalkonstruktionen wurden mit jedem Satz ein bisschen gewagter, Fakt ist jedoch, dass Johannes Rau bislang noch jedes Gesetz unterschrieben hat. Wozu also die Stocherei im Irrealis?
Leraning by doing war schon immer ein Grundprinzip journalistischer Ausbildung, doch nur wenige haben die Chance, dies vor laufender Kamera im ARD-Ersten zu tun. Kein Zweifel, auch Gauck hat dazugelernt: Er fiel Rau ins Wort, wenn der auf seine Lieblingsthemen zu sprechen kam und allzu langatmig zu werden drohte. Was wäre aber passiert, wenn an Gaucks Stelle Michel Friedman gesessen hätte? Der hätte Rau zumindest um eine Erklärung für den Satz von der „falsch verstandenen Ausländerfreundlichkeit“ gebeten. Und er hätte nachgehakt, warum der Bundespräsident ausgerechnet in der Ausländerdebatte versucht, sein ihm inzwischen offensichtlich lästiges Image des „Versöhners“ loszuwerden.
Doch so breitete sich dieses Gefühl von Mehltau über die Sendung. Denn hier saßen sich zwei gegenüber, die beide mit ihrem Image nicht glücklich sind, herauswollen aus der pastoralen Rolle, in die sie sich selbst gebracht haben. Doch beiden fehlten Mut und Ironie, um wirklich mit ihren Rollen zu spielen: Denn wer hätte den beiden gesetzten Herren nicht gerne dabei zugeschaut, wie sie versuchen, sich gegenseitig mit Bibelzitaten aus der Reserve zu locken?DIEMUT ROETHER
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