piwik no script img

Saubermann sitzt im Dreck

Nach langem Gezerre ist der türkische Bauminister Koray Aydin zurückgetreten. Er soll sein Amt nach dem Erdbeben zur Bereicherung seines Familienclans missbraucht haben

ISTANBUL taz ■ Nach einer Woche heftigen Sträubens ist am Mittwochnachmittag der Wohnungs-und Bauminister der Türkei, Koray Aydin, zurückgetreten. Als Begründung gab er an, Schaden von seiner Partei abwenden zu wollen. Tatsächlich wird Koray Aydin vorgeworfen, sein Amt zur Bereicherung seines Familienclans missbraucht zu haben. Aydin ist führendes Mitglied der ultrarechten nationalistischen MHP, deren Chef Devlet Bahceli gleichzeitig Vizeministerpräsident ist. „Ich bin zurückgetreten“, so Aydin, „um niemandem mehr die Möglichkeit zu geben, die nationalistische Gemeinschaft weiterhin mit Hass zu verfolgen.“

Der Spruch bezieht sich auf eine vermeintliche Kampagne, die die größten Medien des Landes angeblich gegen Aydin und seine Partei lanciert hätten, um die MHP zu diskreditieren, weil diese sich als einzige gegen die kapitalfreundliche Politik des Internationalen Währungsfonds in der Türkei stemme. Auf frischer Tat ertappt, hatte Aydin in der letzten Woche versucht, den Spieß umzudrehen und alle Vorwürfe gegen ihn als gezielte Schmutzkampagne gegen seine Partei abzutun.

Dabei hat Aydin offenbar eine der zentralen Weisungen seines Parteichefs missachtet. Entgegen den offiziellen Forderungen der MHP an ihre Minister, sich bei Amtsantritt völlig aus dem Geschäftsleben zurückzuziehen, hat Bauunternehmer Aydin lediglich die Geschäftsführung seines Ladens an Vater und Schwager weitergegeben. Als die Türkei wenige Monate nach seinem Amtsantritt im August 1999 von einem schweren Erdbeben erschüttert wurde, schlug die Stunde der Baufirma Aydin. Das damalige Versprechen des Bauministers, in kürzester Zeit würden alle Opfer wieder eine Wohnung haben, entpuppte sich als gigantisches Verkaufsprogramm für seine eigene Firma. Staatsanwaltschaftliche Untersuchungen im Bauministerium nähren den Verdacht, dass Aydin alle Firmen, die mit Staatsgeldern am Wiederaufbau beteiligt waren, verpflichtete, das Baumaterial über seine eigene Firma zu beziehen.

Diese Selbstbedienungsmentalität war es gerade, die die MHP bekämpfen wollte. Jetzt haben sich die Saubermänner selbst bekleckert. Weil die Enthüllungen zuerst in Hürriyet und anderen Zeitungen des größten Medienkonzerns der Türkei, der Dogan-Gruppe standen, versuchte Aydin den Eindruck zu erwecken, dieser Konzern suche die MHP zu zerstören und hätte deshalb seine angeblichen Verfehlungen öffentlich gemacht. Letztlich hat Aydin mit seinem Versuch, sich als Opfer einer Kampagne zu stilisieren, der MHP nur noch mehr geschadet. Lag sie in Umfragen immer noch vor ihren Regierungspartnern DSP und ANAP, ist sie durch die Affäre ebenfalls weit unter die für einen Einzug ins Parlament notwendige 10-Prozent-Marke gerutscht. JÜRGEN GOTTSCHLICH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen