: Der Sieger steht schon fest
■ Stell Dir vor, es ist Kommunalwahl in Niedersachsen und nur Berliner Spitzenpolitiker gehen hin /Meinungsforscher sehen die SPD vorne / CDU und Grünen droht Absturz / FDP im Aufwind
Kanzler Schröder war mit dem halben Kabinett da, Angela Merkel, die amtierende Kohlkönigin Angela Merkel kam, auch Claudia Roth und Jürgen Trittin gingen in die Provinz: Der Wahlkampf tobt in Oldenburg. „Neue Ideen statt alter Hüte“ plakatieren die Grünen, „Alle suchen die Mitte“ wirbt ein Spiegelei-Poster der FDP, die PDSler malten gar selber, „damit sich Oldenburg freischwimmen kann“. Doch die lokalen Botschaften scheinen beim Wahlvolk irgendwie nicht anzukommen. „Diese Euro-Idioten“ und „die LKW-Steuer“ und „irgendwann gibt es keinen Mittelstand mehr“ und „dieser Schnäbel-Minister“ – für die Obstverkäuferin auf dem Oldenburger Marktplatz ist alles klar: „Wählen? Ohne mich! Bin doch nicht blöde!“
Der Sieger der Kommunalwahl in Niedersachsen steht mal wieder fest: Es ist der Nichtwähler. Seit 1976 ist die Wahlbeteiligung zwischen Göttingen, Emden, Nordhorn und Lüneburg von 91,4 auf 64,5 Prozent bei der 1996er Wahl gesunken. Laut einer Internet-Umfrage des online-Dienstes nordwest.net wollen am Sonntag gar nur noch rund 58 Prozent der Wähler ihre Kreuzchen machen. Demokratie von unten scheint out.
Dabei können die 6,34 Millionen Wahlberechtigten am Sonntag eine Menge bewegen: Schwimmbäder, Kindergärten, Straßen, bürgernahe Verwaltung und und und. Dann entscheidet Niedersachsen über die Zusammensetzung von 2.239 Stadt- und Gemeinderäten sowie Kreistagen. Für die 31.201 Sitze in den Kommunalvertretungen bewerben sich 77.971 KandidatInnen aus 20 Gruppierungen.
Die Parteien: Träumen
Die CDU träumt derzeit davon, ihren ersten Platz von den Kommunalwahlen 1996 (41,7 Prozent) zu verteidigen. Die Spitzenposition dürfte ihr die SPD (1996: 38,5 Prozent) diesmal streitig machen. Nach einer Umfrage des Mei-nungsforschungsinstitutes Infratest/dimap liegen die Sozialdemokraten deutlich derzeit vor der CDU: Danach käme die SPD bei einer Landstagswahl auf 44, die CDU astürzt ab uf 36 Prozent.
Grüne und FDP konkurrieren um den dritten Platz. Während die Freidemokraten eine verzweifelte Radtour um möllemannsche 18 Prozent starteten, geben ihnen die Meinungsforscher derzeit neun Prozent (1996: 4,6 Prozent).
Den Grünen droht mit prognostizierten sechs Prozent der Absturz. Vor fünf Jahren hatten sie bei den Kommunalwahlen noch neun Prozent der Stimmen erreicht. Besonders stark waren sie im Kreis Oldenburg (18,4 Prozent), in Wenzendorf (Kreis Harburg) erreichten sie sogar rekordverdächtige 21,9 Prozent der Wähler.
Hannover: Herbert wins
Der Kampf um die Landeshauptstadt dürfte mal wieder zugunsten der SPD ausgehen. Bei der Wahl zum Stadtrat kann sie mit 45 Prozent rechnen, acht Prozent mehr als vor fünf Jahren. Bei der Oberbürgermeisterwahl dürfte Sozi-Kandidat Herbert Schmalstieg vielleicht schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichen. Der mit 29 Jahren dienstälteste OB der Republik („der Doppel-Kohl“, so FDP-Chef Guido Westerwelle) kommt nach Umfragen auf rund 50 Prozent der Stimmen. Schmalstiegs Herausforderin Rita Pawelski (CDU) erreicht nur 40 Prozent der Stimmen.
Im Stadtrat dürfte die CDU mit 34 Prozent wieder ungefähr ihr altes Ergebnis einfahren. Die Grünen sollen hier auf zehn Prozent der Stimmen kommen (1996: 14,3 Prozent).
Interessant auch für Bremen ist die Wahl für die neue gemeinsame Regionsversammlung Hannover. Das ist der Zusammenschluss zwischen Speckgürtel und Landeshauptstadt mit insgesamt 800.000 Wahlberechtigten. Anfänglich soll der Regionspräsident Chef von 1.600 Mitarbeitern sein, bis 2003 wächst die neue Regionsverwaltung auf 13.000 Angestellte an.
Oldenburg: Federlassen
An der Hunte wird es richtig spannend. Die SPD will mit dem Bundestagsabgeordneten Dietmar Schütz das Rathaus zurückerobern, das sie vor fünf Jahren an den CDU-Mann Jürgen Poeschel verloren hatte. Seitdem muß der amtierende, als spröde geltende Oberbürgermeister gegen eine rot-grüne Mehrheit im Rat anstinken. Schütz liegt derzeit laut Umfragen mit 45 Prozent vor Poeschel (40 Prozent) – wahrscheinlich gehen beide am 23. September in die Stichwahl. Die Grünen dürften Federn lassen müssen. Hatten sie 1996 mit ihrer Kandidatin Thea Dückert noch sagenhafte 21,9 Prozent eingefahren, kommt die derzeitige Kandidatin Hiltrud Neidhardt laut Umfragen nicht über neun.
WHV: Kopf an Kopf
Auch am Jadebusen steht ein Kopf-an-Kopf-Rennen bevor. Der einzige EU-Kandidat Niedersachsens, der Niederländer Johann Anton van Weelden kämpft für die CDU gegen den SPD-Mann Eberhard Menzel. Hauptthema: der „Jade-Weser-Port“, der in den nächsten Jahren tausende Jobs nach WHV bringen soll. 1996 kam die SPD auf 43,1 Prozent der Stimmen, die CDU auf 35,2. Die Sozialdemokraten regieren seitdem zusamen mit den Grünen (8,6 Prozent).
Delmenhorst: Konkurrenz
In der traditionellen SPD-Hochburg bewirbt sich Oberstadtdirektor Norbert Boese für die SPD um den Posten des hauptamtlichen OBs. Mit seinem Hauptkonkurrent Carsten Schwettmann dürfte er sich bis zur Stichwahl um Themen wie Wirtschaftsförderung und die Konkurrenz zu den Nachbarstädten Bremen und Oldenburg streiten.
Wahl-Splitter
Mit die jüngsten Kandidatinnen sind Dina Drees und Elfrun Nägele. Gerade rechtzeitig werden die beiden Grünen-Politikerinnen, die im Landkreis Gifhorn in Gemeinderäte einziehen wollen, 18 Jahre alt.
Nordhorn ist die letzte DKP-Bastion Niedersachsens. Bei den letzten Wahlen zogen die Kommunnisten 4,2 Prozent der Stimmen in den Stadtrat ein.
Die PDS feierte im Amt Neuhaus (Kreis Lüneburg) 1996 ihren triumphalsten Erfolg in Niedersachsen: 15,1 Prozent. Kein Wunder: Vor der Wende gehörte die Gemeinde noch zur DDR.
Kai Schöneberg
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