: Liga mit Nachholbedarf
Heute startet die Handball-Bundesliga in die neue Saison. Mit dabei ist auch Christian Schwarzer, der nach zweieinhalb Jahren beim FC Barcelona ab sofort mit dem TBV Lemgo Titel gewinnen will
Interview FRANK KETTERER
taz: Herr Schwarzer, haben Sie sich schon wieder ein bisschen eingelebt in Deutschland, oder stehen noch die Umzugskartons auf dem Flur?
Christian Schwarzer: Ach ja, ein bisschen was steht schon noch rum, aber im Großen und Ganzen ist alles so weit fertig, und wir haben uns wieder ganz gut eingelebt, was so schwer nun auch wieder nicht war. Als Deutscher braucht es in Deutschland ja keine großartige Umstellung.
Sie haben in den letzten zweieinhalb Jahren beim FC Barcelona gespielt, dem erfolgreichsten Handballverein der Welt. Was macht diesen Verein so großartig?
Dass der Trainer dort die Möglichkeit hat, die besten Spieler der Welt in seine Mannschaft zu locken. Jeder Trainer würde mal gerne mit so einem Kader, in dem 14 Nationalspieler stehen, arbeiten, da kann man ein ganz anderes Training machen. Manchmal war das intensiver als ein Ligaspiel.
Das lässt auf einen extremen Konkurrenzkampf im Kader schließen.
Dem war gar nicht so, schon deshalb, weil wir in Barcelona ein System entwickelt haben, bei dem jeder Spieler nicht länger als 30, höchstens 40 Minuten auf dem Spielfeld steht. Das hat dazu geführt, dass die Mannschaft in der letzten Minute fast noch genauso frisch war wie in der ersten, was über die ganzen Jahre der große Vorteil von Barcelona gegenüber den anderen Klubs in der europäischen Spitze war: Wir konnten auswechseln, ohne einen Bruch ins Spiel zu bekommen. Das ist nur mit so einem Kader möglich, wie ihn Barcelona hat.
Was hat Ihnen Ihre Zeit in Spanien gebracht? Was haben Sie beim FC Barcelona lernen können?
Eben dass es dieses Konkurrenzdenken gar nicht so gibt. Die Aufgaben in der Mannschaft waren verteilt und jeder hatte in jedem Spiel seine Spielanteile, da saß keiner mal 60 Minuten lang nur auf der Bank. Das geht gar nicht, wenn nur Stars in der Mannschaft stehen.
Selbst Inaki Urdangarin, der Schwiegersohn des spanischen Königs, soll nur Gleicher unter Gleichen sein.
Klar. Er war und ist ein Handballspieler wie alle anderen auch.
Herr Schwarzer, Sie hatten ein Haus am Strand, waren Stammspieler im besten Team der Welt und von den Mannschaftskameraden hoch geschätzt. Warum haben Sie all das aufgegeben?
Weil es manchmal einfach Wichtigeres als Sport gibt. Zum Beispiel die Familie. Für mich ist das Wichtigste überhaupt, dass es der Familie gut geht und dass sie sich wohl fühlt. Dazu gehören nicht nur meine Frau und mein Sohn, sondern auch meine Eltern und Schwiegereltern. Ich fand es einfach schade, dass mein zweieinhalbjähriger Sohn seine Großeltern nicht so genießen konnte, wie es andere Kinder können. Das war einer der ausschlaggebenden Punkte.
Zudem hatte Trainer Valero Rivera bereits im März eingefordert, dass alle Spieler, die älter sind als 30, ihre Nationalmannschaftskarrieren beenden sollten. Wie sehr hat das eine Rolle gespielt für Ihren Wechsel?
Ganz klar: Das war auch einer der Punkte. Die Familie war vielleicht 90 Prozent – und dann gab es eben weitere kleinere Gründe, die uns in unserer Entscheidung, wieder nach Deutschland zurückzugehen, bestärkt haben.
Wie sehr war das Nationalmannschaftsverbot Folge dessen, dass Barcelona letzte Saison erstmals seit zehn Jahren keinen Titel gewinnen konnte?
Man muss einfach sehen, dass Barcelona zu Olympia elf und zur WM zehn Spieler abgestellt hat, also fast die komplette Mannschaft. Im Verein hatten wir somit so gut wie keine gemeinsame Vorbereitungsphase, was sich mehr oder weniger auf die gesamte Saison ausgewirkt hat. Hinzu kam dann auch noch ein ziemliches Verletzungspech.
Auch in der Bundesliga ist die Belastung, das hat Bundestrainer Heiner Brand mehrfach festgestellt, für einen Nationalspieler immens. Wie sehr leiden die Spieler darunter? Wie groß ist der Verschleiß?
Die letzte Saison war in dieser Hinsicht eine reine Katastrophe. Es ist einfach Hohn, Spielern zwei große Turniere plus eine nationale Serie in einem knappen Jahr zuzumuten. Nur interessiert das die Verantwortlichen nicht, die wollen ihre Kohle machen und ihre Meisterschaften durchziehen, wir Spieler sind ja nur das ausführende Organ. Dass wir uns bei einer Saison wie der letzten am Ende nur noch aufs Spielfeld schleppen und versuchen, ohne Verletzung durchzukommen, kümmert keinen. An einen vernünftigen Trainingsalltag war dabei nicht einmal mehr zu denken. Es ging nur noch ums Durchkommen.
Beim TBV Lemgo spielt mit Daniel Stephan, Markus Baur, Florian Kehrmann und Christian Ramota die halbe Nationalmannschaft. Wie sehr gab dies den Ausschlag für Ihre Vereinswahl?
Es gibt hier die Perspektive, wirklich Großes zu leisten. Wir spielen in diesem Jahr um drei Titel und haben den Anspruch, mindestens einen zu gewinnen. Und wenn man mal kennen gelernt hat, wie es ist, um Titel zu spielen – und das war in Barcelona Alltag – findet man einfach Geschmack daran.
Ist es das, was Sie der Mannschaft vermitteln können: Zu wissen, wie man Titel holt?
Ich hoffe, dass ich das kann. Wir haben in Lemgo ja auch einen sehr starken und ausgeglichenen Kader, so gesehen sind hier fast ein bisschen die Möglichkeiten von Barcelona vorhanden, wenn natürlich auch nicht ganz so extrem. Aber man sieht das schon im Training: Da wird ganz schön intensiv zur Sache gegangen.
Auf der anderen Seite sorgt ein solches Staraufgebot ganz sicher für jede Menge Druck. Wie sehr spüren Sie das?
Wir sind Leistungssportler und gehen aufs Spielfeld, um zu gewinnen. Das ist etwas ganz Normales, und ich empfinde das nicht als Druck. In Barcelona habe ich gelernt, dass diese Erwartungshaltung Spaß machen kann. Spaß an der Möglichkeit, jedes Spiel gegen jede Mannschaft gewinnen zu können.
Wen sehen Sie außer Lemgo mit dabei im Kampf um die Meisterschaft?
Ich halte vor allem Magdeburg und den THW Kiel sowie die SG Flensburg-Handewitt für ganz heiße Kandidaten.
Was wird die Meisterschaft letztendlich entscheiden?
Die Mannschaft, die ohne große Verletzungen durch die Saison kommt, wird am Ende oben stehen. Wobei das etwas ist, was man nicht beeinflussen kann; das passiert oder es passiert nicht.
Der TBV geht fast ausschließlich mit deutschen Spielern in die neue Saison, der Schweizer Marc Baumgartner ist der einziger ausländische Spieler. Hat in der Bundesliga diesbezüglich ein Umdenken eingesetzt?
Ich denke schon. Wobei Wallau-Massenheim da eine Vorreiterrolle eingenommen hat. Martin Schwalb hat dort aus der finanziellen Not eine Tugend gemacht und es geschafft, aus einer relativ jungen Mannschaft mit überwiegend deutschen Spielern eine absolutes Spitzenteam zu formen. Dadurch haben viele Manager, Trainer und Vereinsverantwortliche gesehen, dass es durchaus deutsche Talente gibt, denen man nur eine Chance geben muss.
Worin liegen die prinzipiellen Unterschiede zwischen Bundes- und spanischer Liga?
Die Anzahl der guten Mannschaften ist in Deutschland einfach größer. Aus der spanischen Liga könnten hier vielleicht vier oder fünf Mannschaften oben mitspielen. In Spanien gibt es vier gute Mannschaften, die auch keine Geldprobleme haben, der Rest spielt mehr oder weniger gegen den Abstieg. Außerdem ist es in Spanien undenkbar, dass der Letzte den Ersten schlägt, in Deutschland kann das fast immer vorkommen.
Die Bundesliga genießt ihren Ruf als stärkste Liga der Welt also zu Recht?
So lange der Champions-League-Titel nicht in Deutschland ist, kann man daran ein bisschen zweifeln. Die Bundesliga ist zwar prinzipiell stärker, aber die letzten sieben Jahre ist der wichtigste Titel eben stets nach Spanien gegangen. Da hat die Bundesliga doch deutlich Nachholbedarf.
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