: K.o. für den Pampa-Dollar
Der feste Wechselkurs zur US-Währung hat einst die Wirtschaft Argentiniens gerettet. Jetzt führt er zum Kollaps der Landes. Daran ändern auch neue Kredite nichts mehr
Hilfspakete haben noch nie dauerhaft geholfen. Sie sind dazu da, kurzzeitige Notlagen zu lindern. Böse gesagt: das Abrutschen in die Armut oder gar das Verhungern ein wenig herauszuzögern. Oder positiv ausgedrückt: einen Moment der Krise zu überbrücken, nach dem es dann wieder bergauf ging.
Wenn von „Hilfspaketen“ für Argentinien oder ein anderes krisengeschütteltes Land die Rede ist, verbirgt sich hinter diesem karitativ klingenden Begriff kein Geldpaket als Weihnachtsgeschenk, sondern ein Kredit vom Internationalen Währungsfonds und von einzelnen Industrieländern, der meist bis auf den letzten Cent zurückgezahlt werden muss – und zwar verzinst.
Nun könnte man meinen, die „Hilfe“ bestünde vielleicht darin, dass das Empfängerland vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit gerettet werden soll – immerhin hat Argentinien, der derzeit dramatischste Fall unter den finanzschwachen Ländern der Welt, Schulden in Höhe von 130 Milliarden Dollar aufgehäuft, und erhält nun als Hilfe 40 weitere Milliarden. Doch diese Deutung wäre recht verlogen: Erstens hilft das Hilfspaket dem Land nicht. Es zögert den Zusammenbruch des argentinischen Finanzsystems lediglich hinaus, ein paar Monate oder vielleicht auch noch ein Jahr. Zweitens macht es Argentiniens Zahlungsunfähigkeit sogar noch wahrscheinlicher, denn der Kredit erhöht den Schuldenberg ja nur noch zusätzlich. Drittens verschleiert der Begriff Hilfspaket die Tatsache, dass Argentinien gar nicht geholfen werden kann. Denn das Übel, an dem seine Wirtschaft leidet, ist angeboren und unheilbar. Es heißt „Currency Board“.
Gemeint ist jenes Währungssystem, das Wirtschaftsminister Domingo Cavallo 1991 einführte. Es bindet die argentinische Währung, den Peso, zum willkürlich festgelegten Kurs von eins zu eins an den Dollar. Die Argentinier und den Rest der Welt gewann Cavallo mit dem Versprechen, jeden Peso, der im Land kursiert, jederzeit in Dollar umzutauschen. Nie wieder sollten die Leute im Supermarkt erleben, wie schon auf dem Weg von der Käsetheke zur Kasse die Preise stiegen, weil die Geldentwertung so rasant voran schritt. Niemand mehr sollte verarmen, weil die Inflation alle Ersparnisse auffraß – und er nicht zu den Reichen gehörte, die ihr Geld im Ausland anlegen konnten.
Wer die Verhältnisse zu Zeiten der Hyperinflation kannte, versteht, warum damals kaum einer auf warnende Stimmen hören wollte. Endlich in den Kreis kreditwürdiger Länder aufgenommen zu werden, ein Peso so stark wie ein Dollar – diese Verlockung wog stärker als die Mahnung besonnener Ökonomen, mit der „Dolarización“ könne das Land in eine Rezession geraten. Denn die Geldpolitik und vor allem die Höhe der Zinsen waren fortan Sache der US-Zentralbank in Washington.
Seit 1991 ist Argentiniens Peso-Dollar-Volkswirtschaft abhängig von den USA, während die USA auf Argentinien und seine Konjunktur pfeifen können. Was sie auch getan haben: Boomte die US-Wirtschaft, setzte die US-Zentralbank die Zinsen herauf – und verteuerte damit automatisch auch die Kredite der Argentinier. Und da die internationalen Anleger bei gleich hohen Zinsen ihr Geld lieber in den bewährten USA investieren als am Standort Südamerika, musste Argentinien das Kapital mit einem ordentlichen Risikozuschlag ins Land locken – was die Kreditaufnahme um satte 12 Prozent verteuerte. Das ist der erste Geburtsfehler des „Currency Boards“.
Geburtsfehler zwei: Dieses Währungssystem basiert darauf, dass im Lande genügend Dollar vorhanden sind, um das Tauschversprechen zu halten. Also braucht Argentinien Geld aus dem Ausland. Idealerweise hätten die Devisen aus einem fetten Handelsüberschuss kommen sollen. Aber dazu hätte der Dollar schwach sein müssen und der Peso folglich auch. Nur dann hätten sich Europa, Japan und die südamerikanischen Nachbarn mehr Importe aus Argentinien geleistet. Leider war das Gegenteil der Fall: Der Dollar wertete auf, der Peso zog mit – musste mitziehen. Aufgrund der Dollarkoppelung ist der Peso gegenüber dem brasilianischen Real um 40 Prozent überbewertet – die Argentinier müssen zuschauen, wie billige brasilianische Waren ihre Läden füllen, während die heimischen Fabriken nach und nach dichtmachen.
Das Handelsdefizit zwang die Regierung, sich weiter zu verschulden, um Dollars ins Land zu holen. Je unausgeglichener der Haushalt wurde, je mehr Dollars der Staat ausgab, umso teurer wurden die Kredite. So begann die Regierung zu sparen, doch bis heute viel zu wenig. In manchen Monaten wurden gar die Gehälter der öffentlichen Bediensteten nicht ausgezahlt, aber nicht einmal das reichte. Jetzt können sich die Argentinier fragen, was schöner ist: arm zu sein wegen der Inflation oder wegen der radikalen Sparprogramme.
Für eins von beiden werden sie sich entscheiden müssen, denn Domingo Cavallo hat nur die Wahl: Ausstieg aus dem festen Wechselkurs oder Warten auf den Crash. Eine bittere Alternative. Denn löst der Minister die Dollarbindung, fließt sofort massiv Kapital ins Ausland. Der Pesokurs purzelt um 50 Prozent, was Experten für eine realistische Größe halten. In Dollar bleibt der Schuldenberg zwar gleich, aber in inländischer Währung, in der das Geld zum Schuldendienst ja erwirtschaftet werden muss, verdoppelt sich die Verschuldung auf 260 Milliarden Pesos. Kaum abzutragen, dürfte das Urteil der internationalen Finanzmärkte lauten. Zudem könnte dies die nächste Finanzkrise unter den Schwellenländern auslösen. Wartet Cavallo aber auf den Crash, passiert das Gleiche, wenn auch dank dem „Hilfspaket“ erst nach einer Gnadenfrist.
Nun zeigt sich, wie blauäugig es war, so lange nicht an den Ausstieg aus der Dollarbindung zu denken. Zwei, drei Jahre hätte Argentinien den Dollar als Ankerwährung nutzen sollen. Danach hätte der Peso abwerten müssen. Gewiss, die Verfechter des „Currency Boards“ argumentierten mit dem Vertrauensverlust, den eine Abwertung mit sich gebracht hätte. Doch: Hätte der Finanzminister von vornherein angekündigt, wie er aus der Dollarbindung aussteigen wird – etwa durch eine monatliche geringfügige Abwertung –, jeder Anleger hätte gewusst, woran er ist. Cavallos kürzlich geäußerte Idee, den Peso an einen Korb aus Dollar und Euro zu binden, kommt zu spät.
Noch klüger wäre es gewesen, den Peso erst gar nicht fest an den Dollar zu binden, sondern einen Spielraum für Wechselkursschwankungen einzuräumen. Nur hypothetisch ist ein südamerikanischer Währungsverbund à la Euro – dafür sind die Volkswirtschaften in Lateinamerika noch auf lange Zeit viel zu unterschiedlich.
Und nun? Wenn die Schwellenländer klug sind, wappnen sie sich schon mal gegen die Auswirkungen des argentinischen Crashs. Für Argentinien allerdings heißt die Alternative jetzt nur noch: Klammer dich noch ein wenig an dein Hilfspaket und warte auf das schreckliche Ende – oder mach’s kurz.
KATHARINA KOUFEN
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