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Ein Herz für Schüblinge

Der Innenausschuss beschließt: keine Abschiebehaft mehr für Jugendliche, Schwangere und Mütter. Parlament muss noch zustimmen. Grüne sprechen von Durchbruch. Innenverwaltung will erst prüfen

von HEIKE KLEFFNER

Mit den Stimmen der Grünen, SPD und PDS hat der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses gestern einen ersten Wendepunkt in der bis dato tiefschwarzen Flüchtlingspolitik Berlins beschlossen. Wenn am Donnerstag auch noch das Abgeordnetenhaus zustimmt, komme man dem Ziel, Dauer und Häufigkeit der Abschiebehaft deutlich zu verringern, einen „entscheidenden Schritt näher“, sagte Hartwig Berger (Grüne).

Bislang steht Berlin im Ländervergleich in dem zweifelhaften Ruf, bei der Zahl der Abschiebungen und Abschiebehäftlinge ganz vorne mitzumischen. Allein im ersten Halbjahr 2001 mussten 2.103 Menschen die Stadt unfreiwillig verlassen. In 90 von 100 Abschiebungen waren die Betroffenen zunächst in Haft und wurden dann direkt ins Flugzeug gesetzt.

Damit soll jetzt zumindest für einen erweiterten Kreis von Betroffenen Schluss sein: Zukünftig ist vorgesehen, die Abschiebehaft für Minderjährige zwischen 16 und 18 Jahren sowie für Schwangere und Mütter mit Kindern im Alter bis zu 14 Jahren ganz aufzuheben. Bisher werden in Berlin Schwangere nur während der gesetzlichen Mutterschutzfrist von Abschiebehaft verschont; Gleiches gilt auch für Eltern, die Kinder bis zum Alter von sieben Jahren betreuen.

Für Minderjährige liegt die Schallgrenze momentan bei 16 Jahren – in Übereinstimmung mit den von Rot-Grün verabschiedeten bundesweiten Verwaltungsrichtlinien, wie Innensenatssprecherin Svenja Schröder-Lomb betont. Experten hatten dagegen wiederholt die Traumatisierung kritisiert, die Jugendliche durch die Haft erleiden. Erst vor zehn Tagen hatte eine 17-jährige Mongolin versucht, sich in der Abschiebehaft Grünau das Leben zu nehmen. Unter den insgesamt knapp 300 Abschiebehäftlingen befindet sich derzeit noch ein Dutzend Unter-18-Jähriger.

Auch so genannte „ausreisepflichtige“ Ausländer sollen nicht mehr – wie bisher üblich – automatisch in Abschiebehaft genommen werden, wenn die Ausländerbehörde sie zur Ausreise auffordert. Vielmehr sollen die Beamten zukünftig in Gesprächen mit den Betroffenen prüfen, ob eine so genannte „Selbstgestellung“ zur Abschiebung sinnvoll wäre. Wenn der Betroffene glaubwürdig erklären kann, pünktlich zum Ausreisetermin vor dem Abschiebeflugzeug zu stehen, bleibt er in Zukunft zunächst in Freiheit.

Unter ähnlichen Bedingungen könnten dann auch Abschiebehäftlinge freigelassen werden, die mangels Papieren und gültiger Anmeldung auf der Straße aufgegriffen wurden. Nach der Vorstellung von Hartwig Berger müssen dafür „vertrauenswürdige Dritte“ wie beispielsweise Kirchengemeinden eine Unterbringung zusichern. In ähnlicher Art und Weise solle in Zukunft auch niemand mehr inhaftiert werden, dessen Heimatland die Ausstellung von Reisepapieren verzögert oder ganz verweigert.

Während Berger den Beschluss als „Durchbruch zu einigermaßen menschlichen Zuständen“ bezeichnete, ist man in der Innenverwaltung zurückhaltender. Dort will man erst einmal prüfen, ob die Beschlüsse mit dem Bundesausländerrecht und mit den aus dem Hause von Innenminister Otto Schily (SPD) kommenden Vorschriften vereinbar sind.

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