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„Der Schaden ist das Ziel“

■ Michael Zürn, Politkwissenschaftler an der Bremer Uni, über den New Yorker Anschlag und über die neue Form des Krieges, die er demonstriert

Wir haben es mit neuen Kriegen zu tun, urteilt der Politikprofessor Michael Zürn über den Terroranschlag auf das World Trade Center. Als Co-Leiter des Institutes für interkulturelle und internationale Studien äußert er sich auch zu den Gefahren rassistischer Vereinfachung, wenn jetzt, nach diesem Horror, vermeintlich die islamische gegen die westliche Welt steht.

taz: Krieg gegen die USA, titelte die Bundestaz gestern. War das, was da stattgefunden hat, Terror oder Krieg? Oder nimmt der Krieg die Form des Terrors an?

Michael Zürn: Es ist, denke ich, eine Art von neuem Terrorismus. Krieg ist ja definiert dadurch, dass zwei Staaten mit klar identifizierbaren militärischen Einheiten über einen Konfliktgegenstand streiten und sich dann gegenseitig den Krieg erklären. Terrorismus ist traditionell der Anschlag gegen die Herrschaftseinheiten eines Staates oder einer Gesellschaft, Terrorismus ist eine innergesellschaftliche Auseinandersetzung. Man will mit solchen Anschlägen Aufmerksamkeit erregen. Was wir hier haben, ist ein dagegen ein Anschlag, bei dem ein Staat, nämlich die USA und eine wahrscheinlich transnationale und wahrscheinlich islamische Organisation sich gegenüberstehen. Nennen wir es neuer Krieg.

Bis jetzt haben sich die Täter nicht zu dem Anschlag bekannt. Was will dieser Terrorismus?

Es geht ja nicht darum, irgendwelche Ziele gegen die USA durchzusetzen, sondern es geht vermutlich darum, Rache zu nehmen für die Demütigungen, die – in ihrer Selbstwahrnehmung – die islamischen Gruppieruungen von Seiten der westlichen Welt und insbesonder seitens der USA einstecken mussten. Wenn die Öffentlickeit weiß, wer da gegeneinander steht, dann hat es seinen Zweck schon erfüllt. Der Schaden ist sozusagen das Ziel.

Die Regierungschefs und Außenminister und auch die Medien in den europäischen Ländern haben erstaunlich wenig Versuche unternommen, zu analysieren, worum es bei dem Anschlag gegangen sein könnte. Stattdessen gab es staatsmännisches Zusammenrücken.

Zunächst mal: Ohne halbwegs gesicherte Erkenntnisse über die Täter wird kein Regierungschef Erklärungen wagen. Der zweite Grund für das ,Zusammenrücken' ist sicher taktischer Natur: Dieses Ereignis ist eine enorme Stimulanz für die Aussenpolitik der USA, sie wird Lerneffekte auslösen, ähnlich wie Pearl Harbour und die Cuba-Krise. Die Angst Europas ist, dass Amerika zum Isolationismus zurückkehrt. Also gab es den Reflex, den Amerikanern zu zeigen, dass sie nicht allein stehen.

Ist „Solidarität“ dafür die angemessene Vokabel?

Ich kann da auch nur sagen, dass ich diesen Begriff vorgestern Abend etwas eigenartig fand. Es ist ja klar, dass man mittrauert. Aber man ist eigentlich nicht solidarisch mit den Opfern, sondern man fühlt mit.

Aber zurück zum ,Zusammenrücken': Dieser Anschlag ist ein ganz erstaunlicher Ausdruck globalisierten Terrorismus'. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine transnationale islamistische Truppe, und es hat das World Trade Center getroffen, das ist mehr als die USA, nämlich die westliche kapitalistische Welt. Und wenn Sie sich dann noch ansehen, wie in der ganzen Welt die Server zusammenbrechen, dass massenhaft E-mails auflaufen – diese transnationale Kommunikation macht deutlich, dass wir es mit einem denationalisierten Anschlag zu tun haben. Es ist nicht das Problem der USA, sondern der ganzen westlichen Welt.

Die Angst vor einer Eskalation des Konfliktes ist groß, die vor neuen Anschlägen auch. Wie berechtigt ist das aus Ihrer Sicht?

Na ja, das ist jetzt gefährlich dazu etwas zu sagen... Der Aufwand für einen solchen Anschlag ist aber, glaube ich, so gross, dass das nicht täglich aus dem Ärmel geschüttelt werden kann. Insofern ist Terrorismus punktuell und wird – denke ich – auch punktuell bleiben. Die USA wird, fürchte ich, Vergeltungsschläge fahren.

Gibt es in der Friedens- und Konfliktforschung Erkenntnisse zu diesen ,neuen Kriegen'.

Die Forschung hatte natürlich immer schon die Themen Internationaler Terrorismus, Nah-Ost-Konflikt, Zerfall staatsähnlicher Einheiten. Und es ist in dem Maße in den Mittelpunkt gerückt, wie der Ost-West-Konflikt bedeutungslos geworden ist. Das heißt aber nicht, dass es dafür ähnlich klar formulierte Antworten und Weltbilder gibt wie in der Frage des Ost-West-Konflikts ab den 60er Jahren. Die Antworten sind noch so pluralistisch, sie sind noch nicht imstande, ein Weltbild zu stiften.

In welche Richtungen gehen denn die Antworten?

Die Ereignisse von Somalia über Jugoslawien bis zu solchen Terroranschlägen bedeuten, dass wir es mit einem neuen Phänomen zu tun haben. Zweitens, die gewohnte militärische Antwort, staatlich organisierte Gewalt, ist nicht kompatibel mit der Form von Gewalt, wie sie dort angewendet wurde. Drittens: es bedarf eines neuen Modells transnationalen und internationalen Regierens, welches imstande ist, gesellschaftlichen Input aus unterschiedlichen Kulturkreisen aufzunehmen.

Sind die islamischen Staaten der neue Hauptfeind? Anders gefragt: Wird der Rassismus blühen auf den Trümmern dieser Katastrophe?

Es sind ja bestimmte islamische fundamentalistische Gruppierungen und nicht einfach Staaten. Nach diesem Anschlag wird sicherlich das Denkmuster des ,Clash of Civilization' vorübergehend gestärkt werden; die Vorstellung, dass ,fertige' Kulturkreise in der Weltpolitik aufeinander einschlagen. Stattdessen muss man Verständnis dafür wecken, dass in allen Kulturkreisen immer wieder Konflikte zwischen laizistischen und fundamentalistischen Strömungen aufbrechen, zwischen Modernisierungsgewinnern und -verlieren. Das betrifft nicht kulturspezifisch den Islam, es trifft auf alle Kulturkreise zu.

Fragen: hey

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