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Revolutionäres Rauchen

In seinem Film „Der Kreis“ zeigt Jafar Panahi die iranische Geschlechter-Apartheid nicht als religiöse, sondern als gesellschaftliche Doppelmoral

Am Anfang steht eine Luke, jene Art Schalterfenster, das an sich schon eine Demütigung darstellt, weil jeder, der hier anklopft, zum Bittsteller wird. Zu Beginn des Films glaubt man sich davor allerdings noch in Freiheit. Auch die letzte Einstellung des Films zeigt eine Luke, doch dann befinden wir uns im Gefängnis. Für die Frauen im Iran, das legt Jafar Panahis Film nahe, ist das kaum ein Unterschied. Wie im Titel schon angedeutet, geht es in „Der Kreis“ um ein sehr konkretes Ein- und Ausgeschlossensein.

In beiden Szenen, ganz zu Anfang und ganz am Schluss, geht es um dieselbe Frau, von der wir nur den Namen erfahren und dass sie eine Tochter geboren hat. Was sonst im Kino oft dem optimistischen Ausklang dient, damit hat Regisseur Jafar Panahi bereits den Vorspann unterlegt – Geburtsschreie von Mutter und Kind, hier sind es Schreie im Dunkeln, die Düsteres ahnen lassen. Dann die ungläubige Verzweiflung, mit der die Mutter der Gebärenden die Nachricht aufnimmt, dass anstelle des auf dem Ultraschall erkannten Jungen ein Mädchen zur Welt kam. Zweimal geht sie zum Schalter und fragt nach und behauptet doch weiter, nichts zu wissen.

Ähnlich wie im kürzlich angelaufenen israelischen Film „Kadosh“, in dem man zur Einführung einen Mann beim Morgengebet seinem Gott danken hört dafür, dass er ihn nicht als Frau geboren hat, ist hier in den ersten Minuten klargestellt, dass Weiblichkeit einem Unglück gleichkommt. Aus der schlechten Botschaft seines Film macht Panahi kein Geheimnis. Er zeigt nicht erst eine oberflächlich heile Welt, um dann deren brutale Ausschlussmechanismen bloßzulegen. Im Unterschied zum Großteil der iranischen Filme, die in den letzten Jahren bei uns zu sehen waren, lässt er sich aber auch nicht auf den gewollt naiven Blick ein, der in der Rauheit des Realen die existenzielle Schönheit entdeckt. Panahi folgt mit der Kamera den Irrwegen seiner Frauenfiguren in diskretem Abstand und mit einer Art bitterer Komplizenschaft, die die Grenze wahren muss: Er kann ihnen nicht helfen.

Wie zufällig wechselt der Film von einer Frau zur nächsten, ein Staffellauf der Problemlagen, in der die Not der einen die der anderen beleuchtet, bis eben der Kreis geschlossen ist und wir die Gesichter der Darstellerinnen ein letztes Mal im Rund der Gefängniszelle versammelt sehen. Von der Geburtsstation geht es hinunter auf die Straße, wo wir für eine Weile Nargess und Arezou folgen bei dem Versuch, das Geld für eine Busfahrt aufzutreiben. Irgendwann landet Nargess alleine vor dem Haus, aus dem kurze Zeit später die schwangere Pari vor ihren Brüdern fliehen muss, und Pari wiederum stößt nachts auf Nayereh, die ihre Tochter aussetzen will, um dieser ein besseres Leben zu ermöglichen. Alle sind sie, egal ob tatsächlich dem Gefängnis entflohen oder nicht, wie gehetzt, ducken sich hinter parkenden Autos, verbergen sich in abgelegenen Korridoren oder toten Hauseingängen.

Panahi schildert das Dasein dieser Frauen ohne Männer als Untergrundexistenz, in der ein Gang alleine über die Straße fast eine illegale Handlung darstellt. Obwohl bereits durch die uniforme Kleidung auf Unsichtbarkeit verpflichtet, müssen sie an manchen Orten noch zusätzlich den Tschador anlegen. Wie Schatten bewegen sie sich durch eine Welt, die ihnen noch nicht einmal die zweifelhaften Freiheiten von Außenseitern gewährt – etwa den Genuss einer Zigarette in der Öffentlichkeit.

Anders als im israelischen Film „Kadosh“ wird in „Der Kreis“ nicht die Religion für diesen Umgang mit Frauen verantwortlich gemacht, sondern eine Gesellschaft und ihre staatlichen Institutionen. Am Rande und ebenfalls wie zufällig bekommt Panahis Film die Doppelmoral in den Blick, die den Skandal, Frau zu sein, tabuisiert und sie gleichsam vorsorglich dafür bestraft, während die Übertretungen der Männer ungeahndet bleiben. Ganz nebenbei entlarvt er so das oft bemühte Argument, die strengen Kleidervorschriften und die Geschlechter-Apartheid dienten dem Schutz der Frau. Laut setzt sich zum Beispiel die streitbare Arezou gegen verbale Anmache zur Wehr, nur um wenig später einen Mann aufs Zimmer zu begleiten, sichtlich der einzige Weg, zu Geld zu kommen. Pari erweist einem Polizisten den Gefallen und ruft dessen verheiratete Geliebte ans Telefon, ohne Scham bittet er sie zum heimlichen Rendezvous. Gegen Ende sehen wir die Prostituierte Mojgane, die aus ihrem Gewerbe keinen Hehl macht, während ihr Freier behauptet, nur eine Tramperin aufgenommen zu haben. Natürlich wird er freigelassen und sie festgenommen.

Dieser Festnahme verdankt der Film paradoxerweise den einzigen Moment der Befreiung: Im Bus kommt Mojgane endlich als erste Frau in diesem Film in den Genuss einer Zigarette – wie sie sich konzentriert und ganz in den Moment vertieft dem Rauchen hingibt, erinnert an längst aus der Mode gekommene Zigarettenslogans. Die Beiläufigkeit, mit der dieser eigentlich banale Akt den Gestus des Rebellischen bekommt, hat etwas Erschütterndes.

BARBARA SCHWEIZERHOF

„Der Kreis“. Regie: Jafar Panahi. Mit Maryam Parvon Almani, Nargess Mamizadeh, Fereshteh Sadr Orafai. Iran/Italien, 2000, 90 Min.

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