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Reden und dabei sprachlos sein

■ Gedenktag: 20.000 bei Trauerfeier vor dem Rathaus. Schweigemarsch von SchülerInnen durch Hamburg. Morgens ruhten kurz Verkehr und Arbeit

Der Rathausmarkt ist voll mit Menschen, ab und zu lugen mal die Stars and Stripes zwischen den Köpfen hervor. 20.000 Leute haben sich nach offiziellen Schätzungen versammelt, die Stimmung ist noch einmal ernst, gedämpft, der Applaus immer dann am stärksten, wenn zur Ruhe aufgerufen wird und dazu, dass „wir keine ethnische Gruppe grundsätzlich verurteilen“, wie es der Bürgermeister sagt.

Die Sprachlosigkeit der letzten Tage bricht sich in den Reden auf dem Rathausmarkt am Nachmittag Bahn. Fassungslosigkeit, Abscheu, Entsetzen, Betroffenheit – die Vokabeln, die seit zwei Tagen ununterbrochen die Stellungnahmen beherrschen, sie müssen auch hier das ersetzen, was man Analyse nennt. Es ist noch die Zeit der Emotionen, die Zeit für Sätze wie „Wer für diese Tat Sympathie empfindet, darf nicht zur zivilisierten Menschheit zählen“, wie der katholische Weihbischof Hans-Jochen Jaschke sagt.

Die Jüdische Gemeinde und die Islamischen Gemeinschaften – sie werden von Runde ausdrücklich begrüßt, geredet wird allerdings nur von den beiden VertreterInnen der großen christlichen Konfessionen, von Jaschke und der evangelischen Landesbischöfin Maria Jepsen. Sie prangern „den Missbrauch der Religion für Verbrechen“ an.

Die US-Konsulin in Hamburg, Susan Ellbow, ist diejenige, die versucht, die Terminologie des Trauers zu erweitern. Sie erinnert sich daran, dass sie selbst lange Zeit im World Trade Center gearbeitet hat, erwähnt ihre eigenen Freunde und Bekannten aus New York. Der Beifall ist nirgends so stark wie nach ihrer kurzen Rede.

Trauer auch bei den Hamburger SchülerInnen. Über 2000 Kinder und Jugendliche gedachten gestern Mittag auf einem Schweigemarsch vom Hauptbahnhof zur Moorweide der Opfer der Anschläge in den USA. Vorneweg: Mehrere SchülerInnen mit einem meterlangen schwarzen Banner. Hinter ihnen Jugendliche mit Blumen, Schildern und Kerzen.

Sonja Ussat ist eine von ihnen. Die 15- Jährige von der Gesamtschule Bergedorf beteiligte sich, um ein Zeichen gegen die Gewalt zu setzen. Sie selbst hat eine in New York wohnende Freundin, die sie bisher nicht erreichen konnte. „Wir wollen der Opfer gedenken und den Angehörigen unsere Solidarität bekunden, aber auch zu Frieden aufrufen“, sagt die 17-jährige Katja Scharkowski, Vorsitzende der SchülerInnenkammer, die erst vorgestern zu dem Schweigemarsch gebeten hatte. Zugleich äußerte sie jedoch auch die Befürchtung, dass es angesichts der Katastrophe zu einer Spirale der Gewalt kommen könnte.

Angefangen hatte der Tag des Gedenkens um zehn Uhr. Ein Knacken aus den Lautsprechern an allen Hamburger Bushaltestellen und Bahnhöfen, ein kurzes Fiepen und ein Stimme meldet sich im bes-ten Beamtenjargon zu den Wartenden. „Hier spricht die Betriebsstätte der Hamburger Hochbahn...“ Auch sie gedachte mit fünf Schweigeminuten der Opfer der Terroranschläge in den USA. Fünf Minuten steht der öffentliche Verkehr in Hamburg still. Fünf Minuten stehen Menschen an Gleisen und Straßen, sitzen in den Bussen und Zügen, nichts passiert. Viele schauen ins Leere, auf den Boden. Einige stehen in kleinen Gruppen zusammen, diskutieren.

Am Bahnhof Altona stehen die Busse mit geöffneten Türen da, niemand steigt ein. Alles ist kurz eingefroren, kurz angehalten. „Ein bisschen ungünstig ist das, ich muss zur Arbeit“, sagt Ramona Oltmanns, „aber das ist schon o.k.“ Eine bessere Ausrede für eine Verspätung ist auch kaum denkbar. „Fünf Minuten können wir ruhig mal stehen bleiben“, findet Ingeborg Behr, „so beteiligen wir uns schließlich ein bisschen. Das ist schon richtig.“ Ein Busfahrer stellt seinen Kaffee aufs Lenkrad und liest Zeitung. Vor den Fernsehbildschirmen im Inneren des Bahnhofs bilden sich Menschentrauben.

Nach fünf Minuten ist alles vorbei. Die Motoren der Busse röhren wieder los, die Bahnen setzen ihre Fahrt fort und die Menschen gehen alle wieder auseinander, zur Arbeit, zum Einkaufen, nach Hause.

Peter Ahrens / Markus Flohr / Christina Pohl

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