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Kampf der Zivilität

Terrorattentat in New York: Der Hollywoodfilm „The Siege“ entwarf ein Szenario für die Zeit danach

von BRIGITTE WERNEBURG

Von „Independence Day“, „Die Hard“ und „Flammendes Inferno“ war nach den Terroranschlägen in New York und Washington viel die Rede. Doch unter all den Hollywoodfilmen, die genannt wurden, weil sie die Ereignisse im Spielfilm vorweggenommen haben sollen, fehlt merkwürdigerweise ein Film, der dem Szenario vom Dienstag am nächsten kam: „The Siege“. Als der Film 1998 in den USA anlief, schrieb Kenneth Turan in der Los Angeles Times vom 6. November 1998, er habe „als Politthriller weit mehr Plausibilität als die meisten anderen Filme dieses Genres“. Und fuhr fort: „Bis zum Punkt heftigen Unwohlseins ist man sich beim Anschauen von „The Siege“ stets bewusst, dass sich die tödlichen Explosionen des Films so schnell ereignen können, wie morgen die Zeitungen erscheinen.“ Und Janet Maslin bemerkte damals in der New York Times: „Zu den denkwürdigsten Bildern des Films gehört der Blick von einer Moschee in Brooklyn auf die Skyline von Manhattan, die sich im Kontext der Geschichte wie ein einziges, großes, verführerisches Ziel präsentiert.“

In Deutschland hieß der Film „Ausnahmezustand“, und er zeigte, wie New York von einer Serie von Terroranschlägen heimgesucht wird. Ihre Urheber sind autonome terroristische Zellen fundamentalistischer Islamisten, die nach Amerika eingeschleust wurden. Ein Anschlag auf die New Yorker FBI-Zentrale, bei dem 600 Menschen sterben, führt schließlich dazu, dass der US-Präsident den Ausnahmezustand verhängt und in New York das Kriegsrecht herrscht. Der Film führte damals in Amerika, aber auch in Europa – und dort vor allem in Frankreich – zu einigem Ärger. Khalid Mansour, der Washingtoner Vertreter der Middle East News Agency, sah Hetze im Spiel, da der Film den Amerikanern vorführe, „was sie erwartet, wenn sie die Araber im eigenen Land nicht unter Kontrolle bringen“.

Tatsächlich aber zeigt der Film nicht, wie auch der „Council on American-Islamic Relations“ unterstellte, einen „Kampf der Kulturen“, den Samuel Huntington 1993 in Bestsellerformat beschwor. Das Thema des Films ist vielmehr ein Kampf der Institutionen: der Kampf zwischen Militär, Geheimdiensten und Bundespolizei um die Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien in einer kritischen Situation. Es ist zwar der dramaturgisch schwächste Akt des Films – gleichwohl ist es der Teil, der heute interessiert. Denn er liefert das Szenario für die Zeit nach den Anschlägen – einer Zeit, der die Welt jetzt nicht ohne Beklommenheit entgegensieht. Denn zum ersten Mal seit Bestehen des Nato-Bündnisses gibt es de facto den Fall einer gemeinsamen Verteidigung, den der Artikel 5 des Bündnisvertrags regelt. Dieser verlangt, dass im Fall von Angriffen, die in seinen Rahmen fallen, jeder Bündnisstaat dem angegriffenen Land mit den Mitteln hilft, die er für notwendig hält. Entsprechend stehen die Verbündeten der USA in der Nato bereit, „die Hilfe zu leisten, die in der Folge dieser Barbarei angefordert werden könnte“, heißt es im Wortlaut der Erklärung des Nordatlantikrates.

Wie aber werden die Vereinigten Staaten reagieren? Diese Frage bewegt nun nicht mehr nur Amerika selbst und die Staaten, die verdächtigt sind, dem Terroristennetzwerk Unterstützung gewährt zu haben, das von Ussama Bin Laden organisiert wird, dessen Profil als Drahtzieher des Anschlags immer deutlicher zu werden scheint. Diese Frage bewegt nun auch Europa. Edward Zwicks Vision für die Lage danach war klar, aber unsinnig – denn kein Land, das von einem Anschlag palästinensischer oder arabischer Terroristen betroffen war, hat jemals das Kriegsrecht über sein eigenes Territorium verhängt. Immer aber suchte es die Unterstützung befreundeter Staaten, wenn auch nicht militärisch. Doch Zwicks Film gibt einen deutlichen Fingerzeig, auf welche politischen und moralischen Herausforderungen man im ersten globalen Krieg – der kein dritter Weltkrieg sein wird, weil er nicht zwischen verfeindeten Staaten, sondern zwischen Staaten und einer globalen Terror-Corporation geführt wird – gewappnet sein muss. In „The Siege“ lässt Bruce Willis als kommandierender General William Deveraux die arabischstämmige Bevölkerung New Yorks in den Football-Stadien der Stadt internieren – Szenen, die an Chile nach dem Militärputsch erinnern oder an die Internierung japanischer Einwanderer im Zweiten Weltkrieg. Die Bevölkerung New Yorks freilich geht gegen diese Maßnahmen in zivilem Widerstand auf die Straße.

Dieses Hollywood-Märchen vom demokratischen Amerika, das sich seinen Führern und ihrem Populismus widersetzt, wirkt tröstlich. Denn „The Siege“ macht kenntlich, dass der Anschlag auf die Zivilisation, auch einer auf den Islam ist, der zum Erbe unserer Zivilisation gehört.

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