: Israel greift an und verspricht, „Terror zu vermeiden“
Militärangriffe gegen palästinensische Städte nehmen zu. Unklarheit über eventuelles Treffen zwischen Jassir Arafat und Schimon Peres
JERUSALM taz ■ „Während die Welt mit der Verarbeitung der Verbrechen in den USA beschäftigt ist, führen die israelischen Besatzungkräfte umfassende Militäroperationen gegen uns“, sagt die palästinensische Autonomiebehörde. Von der heftigsten Invasion seit Abschluss der Osloer Prinzipienerklärung 1993 sprach gestern das offizielle palästinensische Medienzentrum nach den neuesten israelischen Angriffen auf die Palästinensergebiete.
In der Stadt Djenin wurde das Hauptquartier der Autonomiebehörde vollends zerstört. Am frühen Morgen fuhren zudem über 30 israelische Panzer und Planierraupen in die Stadt Jericho ein. Mehrere Gebäude der palästinensischen Autonomiebehörde wurden angegriffen, ein Sicherheitsposten soll komplett zerstört worden sein. Das Haus von Minister Saeb Erikat blieb bis zu den Mittagsstunden von schweren Militärfahrzeugen umzingelt. In der Nähe von Ramallah wurde offenbar aus Versehen ein 76-jähriger Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft erschossen, als er auf einen Militärkontrollpunkt zusteuerte.
Am Vortag waren in Djenin neun Palästinenser getötet worden. Über 60 Menschen wurden verletzt, als die israelische Armee die Stadt aus der Luft und zu Lande angriff. Soldaten hielten zudem vorübergehend Kalkilia besetzt und zerstörten zwei Sicherheitsposten. Am Vortag war unweit dieser Stadt eine jüdische Siedlerin aus einem vorbeifahrenden palästinensischen Fahrzeug erschossen worden.
Das israelische Sicherheitskabinett hatte bereits am Dienstagabend über verschärfte Maßnahmen in den Palästinensergebieten entschieden. Gestern begann Israel, seine nach den Anschlägen in den USA geschlossenen Grenzen wieder zu öffnen.
Djenin blieb bis zum Abend unter Belagerungszustand. Die israelische Angriffe zielten auf Sicherheitseinrichtungen, Fabriken, Kommunikations- und Elektrizitätsnetzwerke. Ziel der Operation im Umfeld von Djenin sei es, „terroristische Aktivistäten in der Region zu eliminieren“, so eine Pressemitteilung des israelischen Militärsprechers. Die Armee werden „alle angemessenen Maßnahmen anwenden, um Terror zu vermeiden und israelische Staatsbürger zu schützen“. Unter den Todesopfern der Auseinandersetzungen von der Nacht zum Mittwoch waren zwei hohe Aktivisten des Islamischen Dschihad. Zu der Invasion in Jericho bezog der Militärsprecher bis zum Nachmittag keine Stellung.
Die palästinensische Abgeordnete Hannan Aschrawi warnte davor, angesichts der Ereignisse in den USA „für die Situation in Palästina blind zu sein“. Zu den Freudenfeiern in palästinensischen Flüchtlingslagern erklärte sie, dass sie nicht die Gefühle der Mehrheit des palästinensischen Volkes spiegelten. Sie wehrte sich gegen jede Verbindung von Palästinensern zu den Terroranschlägen und den Missbrauch der Entwicklungen „zur Rechtfertigung von Gewalt gegen die Palästinenser“.
Tatsächlich sprach Israels Premierminister Ariel Scharon im Verlauf eines Telefonats mit US-Außenminister Colin Powell Donnerstag früh von Palästinenserpräsident Jassir Arafat als „Israels Bin Laden“. Scharon wiederholte damit einen schon in der Vergangenheit von ihm getroffenen Vergleich.
Die erneute Eskalation ungeachtet einigten sich beide Seiten auf ein Treffen zwischen Arafat und Israels Außenminister Schimon Peres. Das Gespräch soll am kommenden Sonntag am palästinensischen Flughafen in Rafah im südlichen Gasastreifen stattfinden, wie das Außenministerium in Jerusalem mitteilte. Die Palästinenser bestätigten die Angaben zunächst nicht. Für ein solches Treffen sind bereits mehrmals Orte und Zeitpunkte genannt wurden, die dann nicht eingehalten wurden.
Israelische Minister appellierten an Scharon, das Treffen zu unterbinden. Der konservative Minister für Nationale Infrastruktur Avigdor Liebermann erklärte, ein Treffen mit Arafat sei „eine Belohnung für den von ihm unterstützten Terror“.
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