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Verbannt in ein unbekanntes Land

Hamburger Fall „Mehmet“: 22-Jähriger soll nach Ghana abgeschoben werden, obwohl er dort noch nie war und nur deutsch spricht. Ein Portrait aus dem Abschiebegefängnis Glasmoor  ■ Von Elke Spanner

Verloren steht Y. im Besucherraum Glasmoor. Er hat gar nicht damit gerechnet, dass ihn hier jemand besuchen kommt, wer auch. Seine Mutter war schon hier, mehr Bekannte hat er nicht. Zwei Jahre Knast, da brechen alle Kontakte ab. Da kommt man raus, und alles geht von Neuem los. Bewährungshelfer, Ausbildung zum Tischler, so war es für ihn geplant. „Gute Führung“ hieß es, als er frühzeitig entlassen wurde, „haha“. Jetzt ist er hier, im Abschiebeknast. Y. weiß selber nicht, warum, aber er soll in den nächsten Tagen nach Ghana abgeschoben werden. „Was soll ich da machen“, fragt er, „ich war doch noch nie dort“.

Y. setzt sich an den kargen hölzernen Tisch, und ab dem Moment kreisen seine Finger unaufhörlich umeinander. Die Frage, was er in Ghana soll, wird er noch mehrere Male wiederholen. Mal spricht er den Satz leise vor sich hin, in dem Wissen, dass es darauf keine Antwort gibt. Die haben selbst die Abgeordneten der großen Koalition aus CDU, SPD und GAL nicht, die im Petitionsausschuss entschieden haben, dass der 22-Jährige in das unbekannte Land abgeschoben wird (taz berichtete), Ende der Diskussion. Mal bricht der Satz auch erbost aus ihm heraus. Als würde man ihn mit der Frage nach Ghana mit einer Absurdität belästigen und nicht von seinem künftigen Leben sprechen.

Hätte ihm früher mal einer gesagt, sagt Y., dass die Strafe für seine Delikte Abschiebung lautet, dann wäre alles anders gekommen. Dann hätte er „Bescheid gewusst“. Hat aber keiner getan. So stand als Drohung immer Gefängnis im Raum, und so richtig Angst, sagt Y., hat ihm das nicht gemacht. Dachte sowieso nicht, dass es einmal so weit kommen würde, „ich hab niemanden umgebracht“. Immer wieder kleine Taten, mal wurde er mit 0,4 Gramm Marihuana erwischt, ein anderes Mal hat er Widerstand gegen einen Polizeibeamten geleistet. Verhaftet wurde er dann schließlich, weil er schwarzgefahren ist, erzählt er und lacht das erste Mal ein bisschen auf. Als würde er einen Witz erzählen und nicht sein Leben.

Das Land, aus dem seine Mutter stammt, hat Y. noch nie gesehen. Er wurde in Deutschland geboren, die Familie hat immer hier gelebt, und selbst seine Mutter, die ihre Jugend noch in Ghana verbrachte, war seit der Ausreise nur ein Mal wieder dort. Als Touristin, im Hotel, denn Verwandte oder Bekannte gibt es dort schon lange keine mehr. Er war nicht mit, „was sollte ich denn da?“ Hatte nicht mal die Idee, dass er nach Ghana reisen könnte. Sein Pass aber trägt den Stempel des afrikanischen Landes, und oft musste er sich in Deutschland Sprüche wegen seiner dunklen Hautfarbe gefallen lassen. Doch als Ghanaer gefühlt hat er sich nie, „ich war doch immer hier“.

Die Ausländerbehörde und auch die politischen Gremien, die über sein Schicksal zu entscheiden hatten, interessiert das nicht. Die Ausländerbehörde begründet die Entscheidung mit einer Gefahrenprog-nose: Y. sei gefährlich, heißt es, weil er sich nicht an die deutsche Rechtsordnung halte. Die Leitung des Jugendknastes Hahnöfersand, wo Y. zwei Jahre für seine Taten gebüßt hat, hat das Gegenteil prog-nostiziert und den 22-Jährigen wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen. „Sie ist näher dran als die Ausländerbehörde“, sagt Rechtsanwalt Winfried Günnemann. Er hat noch einmal beantragt, die Entscheidung zur Abschiebung aufzuheben. Doch selbst die GAL, die sich bei Reform des Staatsbürgeschaftsrechtes dafür stark gemacht hatte, nicht länger die Abstammung eines Migranten zum Kriterium für ein Aufenthaltsrecht zu machen, hat im Petitionsausschuss zwei Mal dafür gestimmt, Y. auszuweisen. Ist doch Ghanaer, steht schließlich im Pass.

Seit Mitte Juli ist Y. nun in Glasmoor. Was er dort macht? Bisschen beten, bisschen Sport. Laufen, Fußball spielen, Klimmzüge. Er ist sehr muskulös. Aber gleichzeitig so niedergeschlagen, dass von Kraft keine Rede mehr sein kann.

Dass damals der Münchner Fall „Mehmet“ durch die Presse ging, hat er am Rande mitbekommen, „das war doch dieser türkische Junge“. Das hat er im Fernsehen gesehen, aber nur flüchtig. Hat ihn auch nicht richtig interessiert. Damals lebte er auf der Strasse, da haste andere Probleme. Erst als er in einem Artikel über diese Parallele zu seiner Geschichte las, fiel ihm „Mehmet“ wieder ein. Erst da hat er richtig Angst gekriegt, sagt er, dass ihm das mit Ghana wirklich passieren kann.

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