piwik no script img

Nichts ohne den anderen

Paare, keine Passanten: Eine neue Reihe szenischer Lesungen in Meiers Schönem Fleischsalon beschäftigt sich mit symbiotischen Verhältnissen bei Künstlern und Revolutionären

Ernie und Bert, Bonnie und Clyde – Paare, bei denen der eine ohne den anderen nichts ist. Sie kommen zu zweit daher, immer und ausschließlich. Wie Engel mit nur einem Flügel müssen sie, um fliegen zu können, ein Paar bilden. Man stelle sich vor: Christo ohne Jeanne-Claude? Romeo ohne Julia? Undenkbar.

Doch es gibt Paare, die sich aus Individuen zusammensetzen, die für sich stehen, berühmt oder berüchtigt sind. Auch solche Menschen haben Partner, manchmal zwei oder mehrere, manchmal nur einen. Der aus ihrer Biografie aber nicht wegzudenken ist, mit dem sie nicht nur Leben, sondern oft auch Arbeit oder Erfolg teilen.

Mit solch symbiotischen Verhältnissen von Künstlern, Revolutionären und anderen Persönlichkeiten beschäftigt sich die neue Reihe szenischer Lesungen in „Meiers Schöner Fleischsalon“ im Theaterdock der Kulturfabrik. Den Auftakt der „Paarungen“ bildete im August das Paar Gertrude Stein und Alice B. Toklas. Es folgen Emmy Ball-Hennings und Hugo Ball, Andreas Baader und Gudrun Ensslin, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir sowie Biene Maja und ihre Freunde. Letzten Mittwoch standen Georges Bataille (1897–1962) und Colette Peignot (1903–1938) im Mittelpunkt. Beide waren mal mehr, mal weniger den Surrealisten zugeneigt, tuberkulosekrank und verheiratet – mit anderen. Von 1934 bis 1938 lebten sie zusammen. Ach was, lebten! Sie zehrten sich auf. Stürzten von einer Ekstase in die nächste. Pfiffen auf gesellschaftliche Konventionen, auf bürgerliche Doppelmoral, flohen aus der Mittelmäßigkeit. Pilgerten nachts zum Grab von de Sade, um sich danach zu viert in einem Bett zu vergnügen.

Er Schriftsteller, Philosoph und Bibliothekar. Sie einfach nur Frau, stets beim Kosenamen Laure gerufen: Beide suchten nach der inneren Wahrheit, die sie hinter allen Grenzen verborgen glaubten. Er trank viel, vergnügte sich in Bordellen. Sie litt, wurde kränker, musste Lungenoperationen über sich ergehen lassen. Dias zeigen Laure zunächst als schöne Frau, später nur noch müde, traurig. Denn worin sich Bataille Freiheit erhoffte, fand Laure nur noch Selbstentfremdung: „Um dich frei zu machen, musst du dir Ketten ausdenken, die ich wären.“

Eine Melange an Texten, die mitunter wie aus der Totengruft vom Tonband kommen, lässt das Leben beider Revue passieren. Die szenische Einrichtung von Anja Mayer setzt dabei auf die optische Umkehrung des Gehörten. Während sich Bataille (David Bredin) und Laure (Nicole Gospodarek) seelisch immer mehr entblättern, sind sie anfangs barfuß und nur leicht bekleidet, legen sich aber binnen einer Stunde Stück für Stück immer mehr Kleidung an. Sind am Ende zugeknöpfter als zuvor. Sie bindet ihm die Krawatte. Er legt ihr die Perlenkette um den Hals und schminkt ihr Gesicht leichenblass. Beide waren füreinander lebenswichtig wie Sauerstoff. Und beide nahmen sich die Luft zum Atmen. ANDREAS HERGETH

Jeden ersten Mittwoch im Monat, das nächste Mal am 3. Oktober um 21 Uhr, Theaterdock in der Kulturfabrik, Lehrter Straße 35, Tiergarten. Termine und Paarungen: Telefon 3 97 54 26, www.theaterdock.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen