: Ein neues Vereinsgesetz hilft kaum weiter
Schilys Vorstoß zum Verbot von extremistischen religiösen Gruppen über das Vereinsgesetz stößt in Berlin auf Skepsis. Experten sagen: Die vorhandenen Gesetze reichen dafür schon jetzt aus. Islamische Föderation kann weiter lehren
Das von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) angestrengte Verbot von fundamentalistischen Gruppen per Vereinsgesetz wird in Berlin zunächst ohne größere Wirkung bleiben. Wie die Sprecherin der Schulverwaltung, Rita Hermanns, erklärte, ändere die Initiative des Ministers an der aktuellen Situation des Religionsunterrichts der Islamischen Föderation nichts. Gültig sei weiter die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass die islamische Organisation als eine Religionsgemeinschaft einzustufen sei, die nach dem Schulgesetz das Recht habe, in eigener Verantwortung einen freiwilligen Religionsunterricht anzubieten.
Hermanns verwies auf die weiterhin bestehende Ansicht ihrer Behörde, dass bei der Föderation nach Vorlage ihrer Unterrichtspläne Zweifel bestünden, ob nicht teilweise verfassungswidrige Ansichten gelehrt würden. In dieser Hauptsache sei gerichtlich aber noch keine Entscheidung gefallen. Solange der Föderation nicht nachgewiesen werde, dass sie über längere Zeit und systematisch verfassungsfeindliche Inhalte („Gegenunterricht“) lehre, dürfe sie Unterricht geben. Erst wenn Schily oder die Innenverwaltung die Föderation verböten, wäre ein Lehrverbot durchsetzbar. Dennoch sei die Föderation nach Ansicht ihrer Behörde weiterhin nicht als Religionsgemeinschaft anzusehen, die Unterricht erteilen darf.
Schon Anfang September – vor den Anschlägen in den USA – hatte Schily angekündigt, als Religionsgemeinschaften getarnte extremistische Vereinigungen künftig per Vereinsgesetz verbieten zu wollen. Dem vorgelegten Gesetzentwurf zufolge würde der im Vereinsgesetz verankerte generelle Schutz von Kirchen und Religionsgemeinschaften vor Verboten künftig nicht mehr für extremistische religiöse Gemeinschaften gelten. Als Beispiel nannte Schily den so genannten Kaplan-Verband in Köln, der unter dem Deckmantel religiöser Betätigung „übelste antisemitische Hetze“ betreibe.
Während Schily vor den Attentaten einschränkend sagte, der Gesetzentwurf müsse nun noch mit den anderen Ressorts und Ländern abgestimmt werden, ehe er in den Bundestag eingebracht werden könne, ist für Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Sache offenbar schon entschieden: „Das Religionsprivileg muss fallen“, sagte er gestern.
Demgegenüber meldete der zuständige Abteilungsleiter der Kulturverwaltung, Wolf Patermann, Zweifel an, ob das Vereinsrecht das richtige Mittel sei, um gegen extremistische Gruppierungen vorzugehen. Er verwies darauf, dass Religionsgemeinschaften keineswegs als Vereine konstituiert sein müssten. Der Staat vergebe auch nicht den Status einer Religionsgemeinschaft – sich so zu nennen stehe praktisch jeder Vereinigung von Menschen frei. Unklar sei ihm auch, was Schily unter „Religionsprivileg“ meine. Schon jetzt sei jede Vereinigung zu verbieten, wenn sie gegen das bürgerliche Recht verstoße.
Ähnlich äußerte sich auch der Religionswissenschaftler Hartmut Zinser von der Freien Universität: Von den mehr als 400 Religionsgemeinschaften in Berlin hätten knapp 30 als Körperschaften des öffentlichen Rechts einen besonders privilegierten Status – der Rest sei in der Regel als eingetragener Verein konstituiert. Schon jetzt biete aber der Artikel 9 des Grundgesetzes genug Handhabe zum Verbot von verfassungsfeindlichen Gruppierungen. Wenn das Vereinsrecht nun geändert werde, diene das nur einer Bereinigung der Rechtslage und erleichtere das Vorgehen gegen extremistische Gruppen: Ein Verbot sei dann sofort durchsetzbar, während extremistische Gruppen bisher so lange aktiv sein dürften, bis ein Verbot nach meist langer juristischer Prüfung rechtskräftig sei.
PHILIPP GESSLER
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