kauft nicht bei taliban!
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von MARTIN BÜSSER

Dass Dummheit in Krisenzeiten leicht und überall grassiert, sich vor allem leichter als sonst ungestraft Gehör verschaffen kann, ist wohl bekannt. Wen wundert da, wenn sich im Chat-Forum von Bild online Leserstimmen finden, die das „Türken raus“ nun blutig ernst gegen eine „Islamisierung Europas“ in einer Schärfe skandieren, deren ideologische Tragweite bis vor wenigen Tagen nur Blättern wie der Nationalzeitung vorbehalten war. Was aber ist zugleich davon zu halten, dass eine allem „Islam-Terror“ gegenüber unverdächtige deutsche Obst- und Gemüseverkäuferin aus Mainz vergangene Woche beinahe Opfer amerikanophiler Hysterie geworden wäre? Die inzwischen schätzungsweise siebzigjährige Ladeninhaberin galt in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt bislang eher als antiislamisches Bollwerk unter den Obst- und Gemüseläden. Wo jedes türkische Geschäft rund um diese Insel der Überteuerung bei gleicher Qualität Kartoffeln, Zucchinis und Zwiebeln zum halben Preis anbietet, wiegt bei ihr das in Dialekt verdunkelte Stadtgespräch gleich fünfzig Pfennig mehr. Und zwei weitere Mark dafür, dass die Rüben nicht in Hürryiet, sondern in den Sportteil der Mainzer Rhein-Zeitung gefaltet werden.

Ihr Geschäft besteht aus zwei dunklen, unübersichtlichen, von Holzkisten beherrschten Räumen. Die meiste Zeit verbringt die Dame im hinteren Teil, wahrscheinlich, um dort all die Verpackung zu entsorgen, die darauf hinweisen könnte, dass ihr ausschließlich „deutsches Obst und Gemüse“ gerade erst beim HL-Markt aus Italien und Polen bezogen wurde. Oder auch, um dort den Lokalteil der Zeitung zu studieren, über den Konversation zu betreiben den eigentlichen Mehrwert des Ladens für all jene ausmacht, die Obst und Gemüse noch immer gern bei „Tante Emma“, nicht bei „Onkel Ütztürk“ kaufen. Also für die Schwätzer und Zutexter der Nation, die nicht einkaufen, um einzukaufen, sondern die einkaufen, um den Quassel-Muff ihrer Stuben in den Quassel-Muff solcher Läden zu tragen.

Weil dort jedoch nur wenige Quassel-Kunden einkehren und die Dame also die meiste Zeit im Hinterraum verbringt, hängt häufig ein Pappschild mit der Aufschrift „Bin im Laden“ an der Tür. Aufgrund aktueller Anlässe hatten Scherzbolde unbekannter Herkunft das Schild mit Hilfe eines Eddings zweckentfremdet, in einen nackten Terror-Appell umgemünzt: „Bin Laden“ war da plötzlich zu lesen.

So viel Trubel hatte dieser ansonsten vor allem von Fruchtfliegen belebte Umschlageplatz germanischer Essensreste noch nicht erlebt. Entsetzte Menschen vor dem Schild, lautstarke Stimmen der Entrüstung, fuchtelnde Hände, Kopfgeschüttel und eine völlig überforderte Verkäuferin, der nicht einmal mehr alles Wissen um das letzte Fußballspiel von „Mainz 05“ etwas hätte helfen können. Auf das Konto von Ussama Bin Laden, der der „zivilisierten Welt“ den Krieg erklärte, wäre hier, in der „zivilisierten Welt“, beinahe eine Lynchjustiz gegangen. Der Einkauf beim Türken ist an diesem Morgen nicht nur billiger, sondern auch krisensicher gewesen.