: Im Land der wehenden Fahnen
Vereint im Kampf gegen das Böse: Ganz allmählich kehrt der Alltag zurück nach Manhattan – doch von Normalität kann keine Rede sein
von KATHRIN RÖGGLA
– good morning, lisa and michael! schon beim ersten sonnenstrahl ist eines gewiss: meine neuen freunde führen uns auch heute wieder rund um die uhr durchs programm des nachrichtensenders cbs 2 – doch nein, auch diese sendung unter dem motto „america rises“ wird nicht von replikanten moderiert, wie ihre ständige präsenz vor der kamera vermuten lässt, denn sie berichten äußerst gefühlvoll das neueste von den „trauer-services“: „oh, how beautiful it looks here in the 5th avenue . . .“, erklärt uns auch die frau vor ort, der st. patrick’s cathedral, und setzt gleich fort: „. . . the flags are flying!“
ja, die fahnen wehen, selbst in der kirche sind sie angebracht. man entdeckt sie überall. auf der straße, auf kühlerhauben, in blusen, auf fahrrädern, in zeitungen zum ausschneiden, in gebäck steckend, in müslipackungen – hätte ich beinahe gesagt und am ende mir selbst geglaubt, was man doch momentan im allgemeinen verhindern will –, nun, sogar auf der homepage der new york times (www.nytimes.com) finden sich neun flaggen-motive als slide-show – und doch, es ist verwirrend: beispielsweise sind im east village in zwei schaufenstern karge punk-altäre aufgebaut, kerzen, barocke silberkreuze, um die us-fahnen drapiert sind.
eine kunstinstallation? etwa ironie? der örtliche rahmen lässt es vermuten, die stimmung eher nicht. und dann am union square, wo sich alle pazifisten zum candle-lighting versammeln, einer hippieveranstaltung mit bedenklich religiösem einschlag – auch da flaggen, fahnen zwischen kerzen und blumen, wobei sie hier immerhin etwas beschriftet sein können.
doch was steht dann darauf? „we are united“ beispielsweise. das ist kein gedicht, hält sich aber im moment für eines. wird ja auch ganz groß rausgebracht: „there is no difference between democrats and republicans, no difference between congress and president, we are all speaking with one voice.“ so der abgeordnete bob menendez, ein demokrat aus new jersey, bei seiner stimmabgabe im kongress für die ermächtigung von george w. bush zu jenem krieg, den dieser haben will und anscheinend nicht nur er.
laut new york times ergaben umfragen, dass 85 prozent diesen krieg befürworten, 75 prozent selbst dann, wenn unschuldige menschen dabei getötet werden. gegen wen der krieg geführt werden soll, das weiß man aber auch nicht so genau, das heißt, die new york post weiß es schon: gegen afghanistan, verrät sie uns und zeigt dazu vorsorglich auf einer skizze, wie man afghanistan auch ganz schnell attackieren kann und wo die us-streitkräfte für diesen angriff zu positionieren sind. aber das ist auch egal, kommt einem langsam hier der verdacht, hauptsache, man hat den krieg erklärt, dann ist wieder ruh in der amerikanischen seele, diesem weiten land so ganz ohne plural.
seit freitagnacht nämlich scheint wieder alltag einzukehren in dieser stadt, und außerdem, so der artikel zur obigen umfrage, erhöhe sich automatisch die popularität eines amerikanischen präsidenten, der den krieg erklärt.
aber manche brauchten diese kriegserklärung erst gar nicht abzuwarten. schon am freitag wurde es im fernsehen gebracht – man schießt jetzt mal gerne auf „arabische“ geschäfte in new york: 21 einschusslöcher auf seiner auslagenscheibe zeigt der geschäftsinhaber dem kamerateam von abc. doch nur wenige geschäfte der „arabic americans“ haben überhaupt geöffnet. und befragt man geschäftsleute wie jenen aus brooklyn, geben sie nur zögerlich antwort: „do they look at you in a different way?“ –„yes!“ – „do they treat you in a different way?“ – „certainly.“ sagt er, schweigt einen augenblick und kommt dann doch ins reden: dass man plötzlich nicht mehr gegrüßt werde auf der straße und dass er doch im long island hospital geboren sei.
eine andere geschäftsfrau lässt einfach ihren anrufbeantworter ablaufen und beginnt zu weinen. dass man sie bedrohe, erzählt auch azam meshkat, die leiterin des islamic institute, die für mehrere hundert kinder zuständig ist. diese botschaft habe sie empfangen: „that they will paint the streets with the blood of our children!“
dann hört man wieder von einer versammlung hunderter, die die polizei festgehalten haben soll auf ihrem weg zu racheakten. mit wehenden flaggen, auch sie. und natürlich gibt es im fernsehen auch jenen reverend jerry falwell, einem hochrangigen baptisten, der die liberalen kräfte des landes an dem terrorakt von dienstag für mitschuldig erklärt: die, die abtreibung legalisieren wollen, die, die rechte für schwule einfordern, und die, die gebete aus den schulen vertrieben hätten, kurz: those „who have tried to secularize america“. aber dass das erfolgreich geschehen könnte, davor müsste er wohl keine angst haben.
die vermischung von politischem und religiösem sprechen zieht sich durch alle bereiche des öffentlichen diskurses, selbst in der archaisch anmutenden, förmlichen zeremonie der kongressabstimmung ist in den einzelnen reden der abgeordneten viel von gebeten, „god bless america!“, gott im allgemeinen und im besonderen die rede, und auch formal greift man auf rhetoriken zurück, die mir eher aus dem liturgischem fundus her bekannt sind: singsang in der stimme, aufzählungen, übelste metaphern – „we stand against the forces of darkness“ (so der abgeordnete jim turner) – oder: „tonight, mr. speaker, evil again is on the march and we must respond. and respond we will“ (der abgeordnete gary ackerman) – und wiederholungen: „tonight we are walking on holy ground. yes, we are walking on holy ground“ (die abgeordnete nancy pelosi).
doch nicht alle wiederholungen sind religiös motiviert. mr. bushs aktion beispielsweise, vor laufender kamera beinahe in tränen auzubrechen und immer wieder zu beteuern, dass man siegen werde – „we will lead the world to victory“ –, sollte weniger unter religiösen als vielmehr unter psychologischen aspekten betrachtet werden.
nein, dagegen ist wohl im augenblick nichts zu machen: stimmen, die sich überschlagen, bewegte gesichter wie jenes von madame bush, durch das man immer wieder durchmuss, sich ständig zunickende moderatoren, die mit sicherheit keine replikanten sind, denn dann gebe es hoffnung, wie man seit dem film „blade runner“ weiß.
und auch dagegen ist kein kraut gewachsen: langsam werde ich hier immer blöder. spreche ich doch diesen kleinen älteren menschen hinter dem maschendrahtzaun an: „what’s happening here?“, frage ich auf die jugendlichen deutend, die gerade auf dem leeren parkplatz ein dreißig meter langes wandplakat fertig stellen, auf dem fett „peace“ steht. ob es etwa gegen den krieg sein könnte? er meint ja, sie hätten nur noch keine mauer gefunden, auf die sie es hängen könnten. es handle sich um jene highschool aus lower manhattan, die stuyvsant-highschool, das sei jene schule, die . . .
„are most of the kids against the war?“, höre ich mich aber schon weiterfragen in noch immer demselben idiotischen tonfall. er schenkt mir ein sanftes lächeln und sagt dann: „I guess, all the people, who are sane, are against the war.“ dabei wollen wir doch bleiben.
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