: Ein Kreuzberger Haus im Zwielicht
Ein Haus wird zwangsdurchsucht. Eine Mieterin fühlt sich „psychologisch vergewaltigt“, der Stadtrat erwidert: „Es gab keine Durchsuchung, sondern eine Besichtigung der Böckhstraße.“ Dass es sich auch anders zugetragen haben könnte, ist möglich
von ARMIN BEBER
Erst schaut sie ungläubig. Dann lässt sich Ekel in ihrem Gesicht lesen. Alexandra Skedzuhn schnorrt von ihrem Nachbarn eine Zigarette. Kein Problem. Martin Finkbeiner gibt ihr auch Feuer. Dann wiederholt er seine letzten Worte: Polizisten hätten ihre Wohnung öffnen lassen und durchsucht. Vor zwei Wochen, als sie im Urlaub war. Die Restauratorin kann es nicht fassen. Am Türschloss ist nichts zu sehen, die Freundin, die sich um die Blumen kümmern sollte, hat nichts gemerkt. Weder in der Wohnung noch im Briefkasten hatte irgendjemand eine Benachrichtigung über die Hausdurchsuchung hinterlegt. Alexandra Skedzuhn zweifelt laut. Kann es wirklich sein, dass Polizisten meine Wohnung durchsuchen, während ich in Italien meinen Urlaub verbringe? Ohne eine Nachricht zu hinterlassen?
„Sie waren drin.“ Die Pause im Anschluss unterstreicht die Bestimmtheit, die in Martin Finkbeiners Worten liegt. Alexandra Skedzuhn zieht lange an ihrer Zigarette. So lange, bis sie die richtigen fünf Worte für ihre Gefühle gefunden hat: „Das ist eine psychologische Vergewaltigung.“
Der 23. August ist ein Donnerstag. An diesem Tag, zwischen fünf und sechs Uhr morgens, riegelt die Polizei das Haus in der Böckhstraße 50 ab. Mit dabei das Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain, das endlich den Verdacht, in dem Haus würden Wohnungen als Schlafstätten zweckentfremdet, mit handfesten Beweisen belegen will. Mit dabei auch ein richterlicher Beschluss, der die Kontrolle des gesamten Hinterhauses anordnet. Die Beamten beginnen in allen drei Aufgängen gleichzeitig, die Hausbewohner aus den Betten zu hämmern.
Klingeln haben nur die wenigsten Türen. „Ich habe geträumt, ich würde über einer Werkstatt wohnen“, erzählt Hausbewohnerin Sirrka Kluge. Als sie dann aufwachte, wäre alles ganz schnell gegangen. Die vielen Beamten vor ihrer Tür, eine Frau habe nach Pass und Mietvertrag gefragt, ein Kollege sofort die Wohnung inspiziert. Auch Martin Finkbeiner im Stockwerk unter ihr kann kaum einen Gedanken fassen. Noch während er die Unterlagen gesucht habe, seien Beamte in Kampfmontur in die Wohnung gekommen. Im hintersten Zimmer seien sie auf seine schlafende Freundin gestoßen, die sie unsanft geweckt und nach Ausweis und Aufenthaltserlaubnis gefragt hätten, erzählt er. Für den quirligen EDV-Dozenten ist der Verdacht, mit dem das Bezirksamt die Anordnung erwirkt hat, nur vorgeschoben. „Die haben ohne Rechtsgrundlage in den Wohnungen nach Illegalen gesucht“, empört er sich.
Franz Schulz sieht das anders. Als zuständiger Dienstherr vertritt der Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bauen am Telefon die offiziell protokollierte Sicht der Dinge: „Es hat keine Durchsuchung, sondern eine Besichtigung der Böckhstraße 50 gegeben.“ Welchen Unterschied macht das? Die Pässe und Mietverträge der Bewohner seien an der Wohnungstür kontrolliert worden, erklärt der Stadtrat geduldig. Wenn sich dabei herausgestellt habe, dass die Wohnung ordnungsgemäß vermietet worden ist, sei es nicht notwendig gewesen, die Wohnung zu betreten oder andere dort befindliche Personen zu kontrollieren. Wurden Wohnungen geöffnet? Wenn niemand aufgemacht hat, seien Wohnungen geöffnet worden, um festzustellen, ob und wie der Wohnraum genutzt würde. Warum wurden davon die abwesenden Bewohner nicht benachrichtigt? Diese Frage verwundert Schulz. „Es hat für die besichtigten Wohnungen keine Mieter gegeben, die zu benachrichtigen gewesen wären“, sagt er dann. Ob es sich auch anders zugetragen haben könnte? Er vertraue auf die Berichte, die ihm vorliegen.
Widersprüche sind in der Böckhstraße 50 normal. Die Wohnungstüren aus Stahl, das anhaltende Schweigen, wenn man daran klopft, die heruntergekommenen Flure lassen kein Leben in den Zimmern vermuten.
Aber doch schallt ständig Musik über den Hof, Kinder lachen, und hinter den Gardinen lässt sich jede Menge Leben erahnen. Etliche Nationalitäten leben hier zusammen, und eine Studentin, die im April letzten Jahres zugezogen ist, lobt die „familiäre Atmosphäre“, die trotz der hohen Fluktuation im Umgang miteinander zu spüren sei. Martin Finkbeiner schüttelt bei der Frage nach einer Hausgemeinschaft dagegen nur den Kopf. Und eine Polin erzählt, sie sei ja selbst kaum in Berlin. Das ganze Jahr suche sie in Polen und Holland Kunden für den Fischmarkt ihres Bruders. Die vier Personen, die nach Polizeiangaben bei der Hausdurchsuchung „festgesetzt und abgeschoben werden sollen“, kennt niemand.
Bauingenieur Singer kennen alle. Nicht nur, weil sein Name als Graffito im Flur des Vorderhauses steht. Ihm gehört das Haus, er ist derjenige, gegen den das Bezirksamt ermittelt, und sein Auftreten gegenüber seinen Mietern könnte widersprüchlicher nicht sein. Er lasse alles verkommen, erzählt ein Türke, und lasse sich übliche Instandhaltungsarbeiten extra bezahlen. Kaputte Balkontüren würden nicht ersetzt, monatelang hätte es keinen Fernsehempfang gegeben, aber egal, was man versucht, ändern würde sich nichts, beschwert sich ein Mieter im Vorderhaus. Auch beim Mieterverein kennt man ähnliche Beschwerden über die Böckhstraße 50. Beim Rundgang durchs Haus gibt es aber auch andere Stimmen. Einen sehr korrekten und kompetenten Eindruck hätte sie von ihrem Vermieter, bestätigt eine Studentin. Und auch Martin Finkbeiner kann nur Positives berichten. Bei Schäden wären Renovierungsarbeiten umgehend erledigt worden, die Heizung funktioniere hervorragend.
Bei Mietern wie Finkbeiner scheint der Verdacht des Bezirksamtes absurd, Singer würde leer stehende Wohnungen nicht melden oder als Schlafstätten zweckentfremden. Finkbeiner hat die Wohnung im Juli 2000 über ein türkisches Maklerbüro angemietet. 650 Mark für 54 Quadratmeter. Gerade ausreichend für seine umfangreiche Büchersammlung, die das „Kapital“ in der Urfassung genauso wie Diderot und Goethe umfasst. Etliche andere Mieter seien zu diesem Zeitpunkt ebenfalls neu eingezogen, erzählt er. Mit Mietverträgen und ähnlichen Bedingungen.
Aber es gibt auch andere Fälle. Der allein lebende Russe zum Beispiel, der mich zunächst für den Mann hält, der einmal im Monat kommt, um die Miete in bar zu kassieren. 600 Mark auf die Hand. Das passt eher zum Bild, das das Bezirksamt von dem Hausherren hat. Schwarzarbeiter soll er illegal beherbergen und sich damit eine goldene Nase verdienen.
„Der Polizeieinsatz war ein Erfolg“, sagt Franz Schulz. Es seien acht leer stehende Wohnungen erfasst worden. In vier weiteren hätten sich Ausländer illegal aufgehalten. Deren Festsetzung durch die Polizei sei ein willkommenes Nebenergebnis, an dem die Ausländerbehörde sehr interessiert gewesen sei, bestätigt der Stadtrat. Martin Finkbeiner sind die Ermittler zu weit gegangen. Er will Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Amtsmissbrauch erstatten.
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