: Läden für ein Butterbrot
Das Projekt Boxion belebt leere Läden am Boxhagener Platz fast kostenlos mit Kunst und Kultur. Die ersten Nachbarn haben sich schon angeschlossen
von TILMAN GÜNTHER
Vor wenigen Jahren noch war der Boxhagener Kiez eine urbane Einöde: graue Fassaden, verwaiste Geschäfte, blinde Schaufensterscheiben. Anfang des Jahres trat das Projekt „Boxion“ an, um die Nischen neu zu kultivieren. In ehemals verlassenen Läden arbeiten heute Künstler, Fotografen, Modedesigner, Drehbuchschreiber und Multimedia-Artisten. Zehn Kunst- und Kulturprojekte haben ein Jahr lang die Möglichkeit, für eine geringe Miete von vier bis fünf Mark in den leeren Läden zu arbeiten.
In der Galerie Haarkunst ist gerade eine Ausstellung mit authentischer Schrottkunst zu Ende gegangen, UFO-Landeplatz, Papierschneemixer und Bleistiftabbrechmaschine sind abgebaut. Für die Haarkunst hat Jan Petersen mit Anfang dreißig seinen Job als Architektur-Modellbauer aufgegeben.
Jetzt will er „einfach spielen, einfach machen“. Das Künstlerdasein sei wie Butterbrot essen, und im Winter gäbe es eben Kohlsuppe. Mit Geld verdienen hat die kleine Galerie in einem ehemaligen Friseurladen erst mal wenig zu tun, dafür kann man mit den Künstlern persönlich an der improvisierten Bar im Hinterzimmer eine Flasche Bärenpils trinken.
Die Idee von Boxion wurde von der Agentur Spielfeld entwickelt, die das Projekt gemeinsam mit dem Quartiersmanagement Boxhagener Platz aufgebaut hat. Noch stützt sich Boxion auf ein Budget von 135.000 Mark, das aus dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ bereitgestellt wurde. Fördermittel für zwei weitere Jahre sind zwar eingeplant, können aber angesichts der schlechten Haushaltslage genauso gut ausbleiben. Erklärtes Ziel ist es jedoch, von öffentlichen Geldern unabhängig zu werden. „Wenn wir uns auf die öffentliche Hand verlassen, gibt es bald keine Kunstkultur mehr“, meint Carmen Reiz von Spielfeld. Ihr Partner Thomas Fritz Wagner ist zuversichtlich: „Die No-future-Mentalität der 80er und 90er ist nicht mehr da. Die Leute haben Power und wollen Ergebnisse sehen.“ Wagner hat bereits Erfahrung mit der Belebung von leeren Räumen gesammelt. Er machte 1998 die Räume des heutigen Maria am Ostbahnhof für den Club nutzbar.
Quartiersmanager Thomas Helfen zieht zur Halbzeit des Projekts eine positive Kosten-Nutzen-Bilanz: „Mit geringen Mitteln erzielen wir einen großen Erfolg.“ Die Läden seien für den herkömmlichen Einzelhandel ohnehin uninteressant geworden, weil immer mehr Einkaufszentren die Kundschaft aus dem Kiez ziehen.
Kultur- und Wirtschaftsförderung vereinigen sich bei Boxion mit der Belebung des Umfeldes. In der aufwendigen Startphase mussten die Leerläden und deren Eigentümer ausfindig gemacht werden, die beteiligten Projekte ausgesucht und Verträge abgeschlossen werden. Jetzt konzentrieren sich die Aktivitäten von Spielfeld auf die Förderung von Existenzgründungen. Die Drehbuchautoren „Die Strickjacken“ sind mit Aufträgen ausgelastet, die Aktgalerie in der Krossener Straße wird sich selbstständig machen.
Spontan schließen sich Nachbarn den Projekten an, etwa bei der Multimedia-Plattform in der Boxhagener Straße 86. Weil Friedrichshain ein miserables Telefonnetz hat, tüfteln die Technikfreaks an einem lokalen Funknetzwerk zur Datenübertragung. Ein neugieriger Passant entpuppte sich als Experte für CB-Funk und ist mittlerweile voll in das Projekt integriert.
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