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Einmal Leberkäse und einmal Spenderleber

In „Komm, süßer Tod“ spielt er den maulfaulen Krankenwagenfahrer Brenner: ein Treffen mit dem österreichischen Kabarettisten Josef Hader

Das Granteln ist bei Brenner fast schon ein philosophischer Akt

von ANKE LEWEKE

Wenn er mit Blaulicht übers Wiener Kopfsteinpflaster rast, macht ihm sein Hangover mehr zu schaffen als der Patient hinten im Wagen. Auch braucht es einige Leichen, bis der Mann aus seinem stoischen Halbschlaf wachgerüttelt wird. Ob sein Griff nun zur Flasche oder doch zur Hand des Verletzten auf der Bahre geht – irgendwie haftet dem Brenner in seiner zerknitterten Rettungsfahreruniform etwas sympathisch Fertiges an. Das gräuliche Sanitäteroutfit hat zwar nichts von der Lässigkeit eines Trenchcoats oder Borsalinos, dennoch sind Brenners Seelenverwandte im L.A. der 30er- und 40er-Jahre zu suchen. Schon die Helden des Film noir spülten herbe Nackenschläge aus der Vergangenheit mit einem kräftigen Schluck weg, wie der Brenner gehören auch sie zu der seltenen Spezies Moralapostel, die angesichts der verkommenen Verhältnisse quasi via Bestimmung noch mal durchgreifen müssen.

Da der Autor Wolf Haas in seinen Krimis das Schwarz der schwarzen Serie beim Wort nimmt, bekommt es der Brenner sowohl im Buch als auch in der Verfilmung von „Komm, süßer Tod“ mit allen erdenklichen Abgründen made in Vienna zu tun. Wenn da von Spenderleber die Rede ist, dann ist der Leberkäse in Rosis Imbiss gemeint. Um bei Krankenfahrten neue Rekorde aufzustellen, wird Omas Schoßhündchen schon mal platt gewalzt. Überhaupt tobt auf Wiens Straßen ein gnadenloser Kampf der Rettungsdienste um die Opfer, der noch ganz andere Opfer mit sich bringen und ans Tageslicht befördern wird. Ehe er sich’s versieht, wird der Brenner von seiner Vergangenheit als Kriminalkommissar eingeholt.

„Wenn ich an den Brenner dachte, hatte ich immer den Lino Ventura vor Augen, wie er schlecht gelaunt, eine Zigarette nach der anderen rauchend, völlig apathisch im Büro sitzt. Ein besonders inaktiver Typ, der die Dinge einfach auf sich zukommen lässt.“ Jetzt habe ich ihn vor mir: Josef Hader, österreichischer Kabarettstar und Darsteller des muffig-maulfaulen Brenner aus Wolfgang Murnbergers Verfilmung von „Komm, süßer Tod“. Unser Treffen findet in der dezenten Bar des Berliner Hotels Savoy statt, wo sich die Geschäftswelt im britischen Club-Stil schon am hellichten Tag bei Zigarre und Whisky zur Mittagspause räkelt. Mit Kaffee und Orangensaft wirken wir hier irgendwie deplatziert und schieben uns das Schälchen mit den Nüssen aus vermeintlicher Höflichkeit gegenseitig zu. Sobald der andere seinen Blick über die Ledersessel schweifen lässt, wird aber ordentlich zugelangt.

„Im Buch gibt es doch den Erzähler, der erzählt uns alles über Brenner, wie es ihm geht, was er denkt“, beginnt der 1962 geborene Hader in haderischer Ruhe und anschaulicher Ausführlichkeit. „Aber dieser Erzähler hat eine derart eigene Stimme, dass wir ihn nicht in dieser Form für den Film übernehmen konnten. Deshalb brauchten wir wieder jemanden, der aus dem Brenner hervorlocken kann, was gerade mit ihm los ist. Wir brauchten einen Assistenten, der einerseits die schlechte Laune von meiner Filmfigur vergrößert, ihr aber dann doch wieder einige Wortfetzen herauslocken kann.“

Ausuferndes Alltagsgeschwätz über Hoibläichs (Halbleichen), Schaßtrommeln (alte Schachteln), Scheißheisltouren (Routinefahrten mit Dialyse-Patienten) – schon die Schlagwechsel zwischen Schwarz und Hader im Cockpit des Rettungswagens sind kleine Kabinettstückchen in Sachen makaberer Witz und stoischer Humor.

„In erster Linie wollten wir eine schwarze Komödie machen“, sagt Hader, der auch am Drehbuch mitgeschrieben hat. „Die wollten wir mit schaurigen Thrillerelementen anreichern, aber die Krimihandlung sollte nur ein Nebenschauplatz sein.“ So bleibt der Hauptschauplatz Brenner und sein ungewollter Äktivitätsschub. Mit viel Blaulicht und einer über Leichen gehenden Handlung legt der Film ein unglaubliches Tempo vor, das paradoxerweise zum Laufsteg der Langsamkeit seines Helden wird. Ein Liebespaar, das beim Akt von einer einzigen Kugel durchschossen wird, ein mit seinem eigenen Goldkettchen erwürgter Sanitäter, Auspuffgase, die in Krankenwagen umgeleitet werden – alles Ereignisse, die letztlich dazu führen, dass Brenner das Hohe Lied des Grantelns in allen Tonlagen durchspielen kann. Und da das Granteln bei Brenner ein fast schon philosophischer Akt ist, freut man sich ständig auf den nächsten Ausbruch.

Eigentlich ist es nur das Wiedersehen mit Klara (Barbara Rudnik), seiner Jugendliebe, das Brenner aus dem Dämmerschlaf reißt. Der Exkommisar und die Femme fatale: Selten wurde ein klassischer Topos der Filmgeschichte so schön unterwandert. Sie mit gebrochenem Bein, er mit völlig zerschlagenem Gesicht und Körper, da muss die Annäherung einfach zärtlich ausfallen. „Brenner ist einer von denen, die ihr Gesicht wegplaudern können. Es gibt diesen schönen Satz von Voltaire zu einer jungen, sehr gut aussehenden Prinzessin. Der achtzigjährige Voltaire bittet sie, ihm eine Viertelstunde Zeit zu geben, damit er sein Gesicht hinwegplaudern kann. Das ist die Art, wie Brenner sich an Frauen heranmacht.“

Als Hader beginnt, Voltaire zu zitieren, passiert etwas sehr Merkwürdiges. Während des Interviews hatte ich das Gefühl, einem aufmerksamen Gesprächspartner gegenüberzusitzen, plötzlich habe ich den Brenner vor mir. Wie im Film sind Josef Haders Augen auf halbmast und sein Kopf leicht zur Seite geneigt. Folgt gleich ein granteliger Ausbruch oder läuft da gerade ein ganz anderer Film ab? Ich will jedenfalls nicht stören und vergnüge mich derweil mit dem neuen Schälchen Nüsse, das der aufmerksame Kellner gerade gebracht hat.

„Komm, süßer Tod“. Regie: Wolfgang Murnberger. Mit: Josef Hader, Simon Schwarz, Nina Proll u.a. Österreich, 2000, 90 Min.

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