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Stimmung ohne Hintergrund

Zur Wahl in Hamburg präsentierte das Fernsehen viele Bilder, suggestive Fragen und von innerem Sicherheitsdenken gelenkte Entgleisungen. Der Politologe Peter Lösche darf wie der Kanzler denken, und „Berlin Mitte“ läuft plötzlich auch am Sonntag

von GITTA DÜPERTHAL

Fernsehreporter wissen viel und eines zumindest ganz genau: „Die innere Sicherheit wurde vernachlässigt“, hieß es unisono in den Sondersendungen von NDR, ZDF und Erstem Programm der ARD zur Hamburg-Wahl. Dies räche sich jetzt, schlussfolgerte man so kühn wie einheitlich. Und nun sei der Law-and-Order-Mann Roland Barnabas Schill an die Macht gekommen. Schill, der beurlaubte Richter, dem ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender höchstselbst attestiert, er sei unfähig, über das Thema Kleinkriminalität hinauszudenken.

Statt nun Hintergrund zu liefern und das Wahlergebnis einzuordnen – angeblich doch die Domäne der Öffentlich-Rechtlichen in diesen Tagen des Nachrichtenwettbewerbs mit den Privatsendern, wie derselbe Chefredakteur Brender jüngst im SZ-Interview zum Angriff auf Amerika betonte –, greift man zu altbekannten Mitteln: Man sendet Bilder. Schill darf sich eitel vor den Kameras produzieren, den starken Mann in allen erdenklichen Siegerposen markieren.

Das Fernsehen hat noch keine Form gefunden, mit erstarkendem Rechtspopulismus umzugehen. Umsonst müht sich auch ZDF-Studio-Leiter Knut Terjung, z. B. den Skandal deutlich zu machen, dass die Wackelpartei FDP keinerlei Hemmung kennt, gegen all ihre Wahlversprechen konsequent zu verstoßen. Ihm gelingt es immerhin, den FDP-Bundestagsabgeordneten Rainer Funke in die Enge zu treiben, indem er ihm Zitate führender liberaler Politiker vorhält, die – wie Parteichef Guido Westerwelle etwa – kürzlich noch ablehnten, Schill zum Senator zu küren.

Doch just in diesem Moment eilt die Sendeleitung dem unter diesen Vorhaltungen sichtlich schwitzenden Spitzenkandidaten zur Hilfe und schaltet schnell mal rüber zu einem Reporter, der Ole von Beust (CDU) hinterrennt. Leider will der gar nichts sagen, zack, wird zu Terjung zurückgeschaltet. Der hat aber mittlerweile Antje Radke (GAL) am Wickel, die zum x-ten Mal in die Kamera jammert, alles sei von „innerer Sicherheit“ bestimmt gewesen.

Fragt sich, welche – und vor allen Dingen wessen – „innere Sicherheit“ hier eigentlich gefährdet ist. Die des Landes Hamburg, die des Bürgers? Vielleicht die der Medienmacher, die es nicht schaffen, aus erstarrten Wahlritualen zu entweichen und eine sinnigere, dem derzeitigen politischen Klima angemessenere Form der Informationspolitik zu entwickeln? Angesichts der erschreckend reaktionären Wende bei dieser Landtagswahl hätte es wahrlich wissenswertere Dinge zu erfragen gegeben, als dem Politikwissenschaftler Peter Lösche – wie vom Leiter der ZDF-Redaktion Innenpolitik, Thomas Bellut, zelebriert – scheinaktuellen Nonsens aus der Nase zu ziehen: Der Politikwissenschaftler war gefordert, mit übersinnlichen Fähigkeiten in des Kanzlers Hirnwindungen zu kriechen, um zu erspüren, was dieser sich wohl bei den ersten Prognosen gedacht haben möge. „Wie ist der Rechtspopulismustrend einzuschätzen, gemessen an der Schill-Partei in Hamburg?“, lautete denn auch das Verdikt von Schröder-Lösche.

Auch beim NDR ist die Zeit zu knapp, sich selbst eine Meinung zu bilden. So muss sich Heide Simonis (SPD) sehr über den Sprachgebrauch des sie interviewenden Reporters wundern, der stets vom „bürgerlichen Lager“ spricht und damit auch die Schill-Partei meint: „Wieso ‚bürgerlich‘? Diese Partei sagt doch ‚Ausländer raus‘.“ Und was die vom stellvertretenden Leiter der ZDF-Redaktion Innenpolitik hoch gelobte „Forschungsgruppe Wahlen“ angeht: Schaut man deren Umfragen im Feld näher an, liegt hier in der Kürze nicht die Würze, sondern vor allem die Suggestion. So etwa könnte deren Frage „Einige der Attentäter lebten vorher in Hamburg. Muss man den Hamburger Behörden einen Vorwurf machen?“ stark vereinfacht heißen: „Müssen die Jungs von der Polizei nicht härter durchgreifen?“.

Wie heftig die Stimmung tatsächlich ins Reaktionäre umgeschlagen ist, zeigt sich bei Maybrit Illners ausnahmsweise sonntäglicher „Berlin-Mitte“ Spezialausgabe. Zunächst darf dort eine illustre Runde aus Angela Merkel (CDU), Peter Struck (SPD), Otto Graf Lambsdorff (FDP) und Renate Künast (Grüne) einmütig Weltuntergangsstimmung aufgrund der Terroranschläge in New York herbeireden und ausgiebig dafür werben, dass wir nun künftig auf einige rechtsstaatliche Freiheiten zu verzichten hätten. Und dann möchte Maybrit Illner noch wissen, ob man denn nicht einfach alle Menschen, „von denen wir wissen, dass sie Islamisten sind“, des Landes verweisen kann . . .

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