: „Es gibt keinen inneren Notstand“
Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne) sieht keine Grundlage für einen Einsatz der Bundeswehr in Berlin. Auch Innensenator Körting hat sich dieser Ansicht angeschlossen. Gleichwohl verteidigt Wieland die Rasterfahndung gegen arabische Studenten
von PLUTONIA PLARRE und UWE RADA
taz: Herr Wieland – Rasterfahndung gegen arabische Studenten und Bundeswehreinsatz in Berlin. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) schafft Fakten, und die Grünen machen offenbar mit?
Wolfgang Wieland: Nein. Das muss man präzisieren. Ein Bundeswehreinsatz in Berlin ist nur dann denkbar, wenn der Bundestag einen Verteidigungsfall oder einen Spannungsfall festgestellt hat. Beides ist nicht geschehen, sodass auch Ehrhart Körting davon ausgeht, dass die Voraussetzungen für einen Bundeswehreinsatz nicht vorliegen. Und der Senat ist sich darin einig, dass er ihn auch nicht erstrebt, sondern dass er die Hoffnung hat, dass die Situation des Verteidigungsfalles nicht eintritt.
Innensenator Körting will sich auch nicht auf den Verteidigungsfall berufen, sondern auf den Grundgesetzartikel 87a Abs. 4. Dieser nennt als Voraussetzung eines Bundeswehreinsatzes einen möglichen inneren Notstand.
Das ist ein Fall, der davon ausgeht, dass in einem Bundesland der innere Nostand besteht, weil es einen Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder auf den Bestand dieses Landes gibt. Dies liegt in Berlin nicht vor. Auch hier fehlt die Grundlage.
Angenommen, in der nächsten Woche erfolgt ein Nato-Gegenschlag und die Sicherheitslage spitzt sich zu. Für diesen Fall hat der Innensenator im Innenausschuss vom Montag angekündigt, dass wir für den Objektschutz in Berlin die Bundeswehr brauchen.
Wir haben uns heute im Senat darauf verständigt, dass die rechtlichen Bedingungen für einen Bundeswehreinsatz nicht vorliegen.
Wir haben nach der nächsten Woche gefragt.
Ich wiederhole mich. Es müsste vom Bundestag der Verteidigungsfall oder der Spannungsfall beschlossen sein. Erst dann gibt es die Voraussetzung für einen Bundeswehreinsatz. Dies regelt der Artikel 87a des Grundgesetzes völlig eindeutig.
Körting berief sich auf Artikel 87a Abs. 4, also einen inneren Notstand.
Auch hier gehen wir davon aus, dass dieser Fall eines inneren Notstandes nicht vorliegt. Deswegen wird auch dies nicht geschehen, es sei denn, die Situation ändert sich grundlegend.
Was heißt grundlegend?
Wenn es in Berlin zum Beispiel bewaffnete Straßenkämpfe der Hisbullah gäbe. Der Fall eines inneren Notstandes zeichnet sich in Berlin also noch nicht einmal im Ansatz ab.
Würde er im Falle eines Nato-Gegenschlages mit deutscher Beteiligung vorliegen?
Nein, automatisch auch nicht. Es müsste dann schon zu terroristischen Gegenmaßnahmen kommen.
Die grüne Spitzenkandidatin Sibyll Klotz hat angekündigt, dass im Senat auch über die Rasterfahndung gegen arabische Studenten geredet werden soll. Sie selbst haben im Vorfeld der Senatssitzung erklärt, dass sie mit einem solchen Vorgehen keine Probleme haben.
Dies ist falsch. Ich habe als Justizsenator lediglich gesagt, dass sich der Innensenator für seine Maßnahme eine richterliche Anordnung geholt hat. Das ist der gesetzlich vorgegebene Weg. Insofern habe ich das nicht zu kritisieren, wenn ein unabhängiger Richter eine solche Maßnahme für zulässig und für erforderlich erklärt. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass ich den Begriff Rasterfahndung für die Maßnahmen, die vorgesehen sind, für unglücklich halte. Der Innensenator wollte diesen Begriff auch vermeiden. Er ist in einer sehr aufgeregten öffentlichen Diskussion jetzt dafür verwandt worden. Mit Rasterfahndung aus den Siebzigerjahren hat das nichts zu tun. Hier gab es jetzt eine begrenzte Überprüfung von Studenten aus dem arabischen Raum anhand eines so genannten Suchprofils, wo anhand der Frage nach dem Herkunftsland, der Tätigkeit und dem Studium überprüft werden sollte, ob es ähnliche Konstellationen wie in Hamburg auch in Berlin gibt.
Von begrenzt kann wohl kaum die Rede sein. Das Kriterium für die Überprüfung war nicht etwa extremistische Tätigkeit, sondern allein die staatliche Herkunft. Das ist doch eine Rasterfahndung, oder?
Man legt ein Raster an, richtig.
Als Oppositionspolitiker hätten sie diese Maßnahme kritisiert.
Nein, hätte ich nicht.
Das müssen Sie uns erklären.
Es ist eine zahlenmäßig kleine Überprüfung von Studenten an drei Berliner Universitäten, die man nicht mit dem millionenfachen Abrastern von Bürgern gleichsetzen kann. Es ist eine Überprüfung. Zunächst einmal dringt es gar nicht nach außen. Es hätte auch gar nicht nach außen dringen sollen, um gerade nicht diesen Eindruck zu erwecken, wir stigmatisierten eine bestimmte Gruppe. Gleichwohl muss man sehen, ob es zum Beispiel auch hier eine Ausbildung zu Flugkapitänen aus einer bestimmten Personengruppe heraus gegeben hat. Wer mit Monstranzen aus den Siebzigerjahren so tut, als hätten wir wieder eine Massenüberprüfung, der schafft nicht den Schutz, auf den die Menschen auch einen Anspruch haben. Man muss es doch ernst nehmen, wenn kaum jemand sich mehr in ein Flugzeug setzen mag.
In Ihrer Partei wird kritisiert, dass man damit einem Generalverdacht gegen arabische Studenten Vorschub leistet. Da drängt sich der Eindruck auf, als wäre die Partei in der Opposition, während die grünen Senatoren die Schoßhunde der SPD sind.
Das ist eine Kaffeesatzleserei. Sie schreiben jeden Tag in der taz, was die Grünen am Kabinettstisch nicht sagen. Wir haben diese Fragen angesprochen und sie mit dem Innensenator erörtert. Dass wir verschiedene Einschätzungen – auch untereinander – haben, wie diese Maßnahmen der Überprüfung der arabischen Studenten zeigen, das ist tatsächlich so. Aber das ist wohl bei jeder Partei die Regel. In der Frage des Bundeswehreinsatzes gibt es überhaupt keine divergierenden Meinungen.
Die Hamburg-Wahl hat gezeigt: Ohne Koalitionskonflikte kein Profil, ohne Profil keine Wählerstimmen. Von grünem Profil ist in Berlin wenig zu sehen.
Ich habe da eine andere Einschätzung. Ich sehe es so, dass man sehr wohl an vielen Punkten erkennt, dass wir als Grüne mitregieren, und das war bis dato auch gar nicht das Thema. Das ist jetzt unter der Sicherheitsdebatte, unter dem Eindruck der Hamburg-Wahl zum Thema geworden.
Das Thema „innere Sicherheit“ ist nun zentrales Wahlkampfthema. Eigentlich könnte man erwarten, dass die Bürgerrechte bei den Grünen einen Anwalt finden.
Der Senat hat kein einziges Bürgerrecht abgebaut. Einzig die taz hat da Fragen. Sonst wird allseits anerkannt, dass vom Regierenden Bürgermeister angefangen bis zu den anderen Politikern immer wieder gesagt wird: Wir wollen keine überzogenen Reaktionen.
Welche Akzente wollen Sie setzen?
Wir wollen die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit überzeugend hinbekommen. Wir wollen verhindern, dass sich Ideen wie Bildung eines nationalen Sicherheitsrates, wie Aufstellen einer Nationalgarde oder Datenschutz zu schleifen durchsetzen. Das ist nach unserer Überzeugung auch eine große Chance für die Grünen, zu zeigen, dass sie auch in der Lage sind, das zu machen.
Sind sich SPD und Grüne da einig im Senat?
Selbstverständlich. Das ist ein absolut maßvoller, ziviler Senat, der nur die allernotwendigsten Dinge tut. Aber die tut er dann auch. Egal, ob er Beifall von der taz bekommt oder nicht.
Hätten Sie als Innensenator auch so gehandelt wie Herr Körting?
Ich hätte mich in Sachen Bundeswehr vorsichtiger geäußert. In den konkreten Reaktionen auf die Attentatsbedrohung hätte ich genauso gehandelt.
Wenn die PDS am 21. Oktober doppelt so viele Stimmen bekommen sollte wie die Grünen, fühlen Sie sich dann mitverantwortlich?
Da ich in führender Rolle für die Grünen in Berlin Politik mache, bin ich für das Wahlergebnis so oder so verantwortlich. Ich scheue mich auch nicht, die Verantwortung am Wahlabend dafür zu übernehmen.
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