: Beim Geld hört die Allianz auf
Kaum endet die Terror-Pause der Haushaltsdebatte, regiert im Bundestag wieder der alte Ton. Rot-Grün und Opposition streiten, wie viel die Steuererhöhung auf Tabak und Versicherungen einbringt. Minister teilen Mehreinnahmen unter sich auf
aus berlin MATTHIAS URBACH
Von einer „Nationalen Allianz der Entschlossenheit“ wie sie Unionsfraktionschef Friedrich Merz der Bundesregierung angesichts der Terroranschläge vom 11. September versprochen hatte, war gestern im Bundestag wenig zu spüren. Im Gegenteil: Außergewöhnlich scharf griff der Oppositionsführer in der Haushaltsdebatte Gerhard Schröder an: „Das Land hat einen besseren Kanzler verdient.“ Mit diesem Satz fasste Merz seine Generalabrechnung mit dem Haushalt zusammen, in dem „die ganze Struktur“ nicht stimme: Der Anteil der Ausgaben für Arbeit und Soziales sei schlicht zu hoch.
Auch Guido Westerwelle ging die Regierung hart an. Die vom Kabinett vor acht Tagen beschlossene Erhöhung der Tabak- und Versicherungssteuer nannte der FDP-Chef „den Beginn einer Steuererhöhungsspirale“. Nicht der Kampf gegen den Terror sei dafür der Anlass, vielmehr habe die Regierung „ein Argument gesucht, um die Steuern zu erhöhen“. Keine Spur mehr von der großen Einigkeit eine Woche zuvor, als der Bundestag mit den Stimmen von Union, FDP, SPD und Grünen eine Anti-Terror-Resolution verabschiedete.
Finanzminister Hans Eichel (SPD) kritisierte, dass sich die Opposition erst außenpolitisch an die Seite der Regierung stelle, um dann „in kleinkariertester“ Weise an der innenpolitischen Umsetzung herumzumäkeln. Insgesamt 3 Milliarden Mark will die Bundesregierung mit der Steuererhöhung erzielen. Erst vorgestern Abend einigte sich die Regierungsspitze nach Informationen der taz auf die Aufteilung des Geldes in der so genannten Sicherheitslage, einem Treffen, an dem neben dem Kanzler unter anderem die Minister für Inneres, Verteidigung und Äußeres teilnehmen – und diesmal auch Eichel. Demnach soll 1,5 Milliarden Mark an Verteidigungsminister Rudolf Scharping gehen, 500 Millionen Mark an Innenminister Otto Schily, je 100 Millionen ans Justiz- und ans Finanzministerium sowie je 200 Millionen an Außenminister Joschka Fischer und an die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Rund 400 Millionen Mark sollen zunächst als Reserve zurückgehalten werden. Vor allem die Grünen hatten darauf gedrängt, das Geld nicht nur für Sicherheit, sondern auch zur Konfliktvorbeugung und Entwicklungshilfe für instabile Staaten auszugeben.
Die gesamten 3 Milliarden sollen offiziell im „Einzelplan 60“, verbucht werden, der unter direkter Kontrolle des Finanzministeriums steht. Damit wollen die Koalitionäre sicherstellen, dass das Geld auch wirklich nur in Anti-Terror-Maßnahmen fließt. Vor allem gegenüber Scharping gibt es Vorbehalte, er könnte Mittel zur Finanzierung seiner Bundeswehrreform zweckentfremden. Für den Haushalt 2003 könnte damit völlig neu über die Verteilung des Geldes entschieden werden. Unionsfraktionschef Merz warf Eichel im Bundestag eine falsche Rechnung vor: Aus der Erhöhung der Tabaksteuer um 4 Pfennig pro Zigarette entstünden bei 140 Milliarden verkaufter Zigaretten allein Einnahmen von 5,6 Milliarden Mark – dazu kämen 0,9 Milliarden, weil auf die höhere Tabaksteuer noch einmal Mehrwertsteuer entrichtet werden müsse. „Das sind 6,5 Milliarden – und da kommt die Versicherungssteuer noch obendrauf.“
Nach Darstellung des grünen Haushaltspolitikers Oswald Metzger ist aber trotzdem nur mit 2 Milliarden Mark in 2002 zu rechnen. Denn eine höhere Steuer auf Tabak führe zunächst zu Hamsterkäufen noch in diesem Jahr, bevor die Erhöhung in Kraft trete. Außerdem wichen die Bürger künftig auf Selbstgedrehte, billigere Sorten und Käufe im Ausland oder auf dem Schwarzmarkt aus. Auch würde weniger geraucht. So habe es nach der letzten Erhöhung der Tabaksteuer um 1 Pfennig vier Jahre gedauert, bis tatsächlich mehr Steuern auf Tabak eingenommen worden seien. Durch die Versicherungssteuer käme eine weitere Milliarde herein, so Metzger, was zusammen mit der Tabaksteuer schließlich die 3 Milliarden ergebe.
Trotz der etwas naiven Rechnung von Merz steckt darin ein wahrer Kern. Denn mit der Zeit tritt ein Gewöhnungseffekt ein an die neue Steuer – wodurch die Einnahmen tatsächlich schon bald deutlich steigen. So werden aus den 3 mit den Jahren 5 oder 6 Milliarden Mark. Deutlich mehr also, als die Regierung offen zugibt. Ohnehin würde die Opposition lieber die Steuern weiter senken, durch ein Vorziehen der Unternehmenssteuerreform, wenn man den Ausführungen von Westerwelle und Merz glauben darf. Dies sei zur Konjunkturbelebung dringend nötig. Deutschland müsse „jetzt die Wachstumslokomotive in Europa, und Europa die Wachstumslokomotive der Welt sein“, verlangte Westerwelle gestern im Bundestag.
Wie der daraus resultierende Steuerausfall von 14 Milliarden Mark ausgeglichen werden solle, das konnten die Oppositionspolitker allerdings nicht sagen. Eichel sprach von einer „unglaublichen Geschichtsverdrängung“ der Opposition, die schließlich nach dem Golfkrieg selbst die Steuern zur Finanzierung erhöht habe – darunter auch Tabak- und Versicherungsteuer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen