Automatische Überstellung von Verdächtigen

Mit zwei Vorschlägen will die EU-Kommission die Auslieferung von Straftätern und Verdächtigen beschleunigen: Ein „europäischer Haftbefehl“ soll die zügige Überstellung von Verdächtigen ermöglichen, Auslieferungen sollen durch eine einheitliche Definition von Terrorismus erleichtert werden

BERLIN taz ■ Mit ihrem Vorpreschen hat die EU-Kommission auch viele Innen- und Justizminister überrascht. Auf dem Sonder-Rat zur inneren Sicherheit legte die EU-Kommission letzte Woche zwei neue Vorschläge vor, die zwar keine Anschläge verhindern könnten, in der EU-Justizpolitik aber Fortschritte brächten. Zum einen soll ein „europäischer Haftbefehl“ für die zügige Überstellung von Verdächtigen in andere Mitgliedstaaten sorgen. Außerdem sollen Auslieferungen künftig durch eine einheitliche Definition von „Terrorismus“ erleichtert werden.

EU-Kommissar Antonio Vitorino will vor allem das zentrale Übel der europäischen Justizzusammenarbeit – die Langsamkeit und Kompliziertheit der Verfahren – „an der Wurzel packen“. Mit einem „europäischen Haftbefehl“ sollen Entscheidungen von Gerichten und Staatsanwaltschaften automatisch EU-weit anerkannt werden. Erlässt ein griechischer Richter einen Haftbefehl gegen eine Person, die sich in Deutschland aufhält, müsste diese künftig ohne weiteres an Griechenland ausgeliefert werden, so der Plan von Vitorino.

Schon bisher gibt es eine Art europäischen Haftbefehl, denn die nationalen Haftbefehle sind über das Schengen Informations-System (SIS) europaweit abrufbar. Gerät ein in Griechenland gesuchter Verdächtiger in Deutschland in eine Polizeikontrolle, wird er auch heute festgenommen und kommt in Auslieferungshaft. Zeit kostet nur das Auslieferungsverfahren.

Von Gericht zu Gericht

Bisher wird ein Abkommen des Europarats aus dem Jahr 1957 angewandt, das aber sehr auf diplomatische Gepflogenheiten achtet und nur die umständliche Kommunikation von Regierung zu Regierung vorsieht. Eine Auslieferung dauert oft Monate.

Die EU hat aber bereits Mitte der 90er-Jahre reagiert und zwei modernere Auslieferungsabkommen ausgehandelt. Hier ist auch der Kontakt von Gericht zu Gericht möglich, und die Verfahren sind vereinfacht. Allerdings sind diese Abkommen bislang nur von rund der Hälfte der EU-Staaten, inklusive Deutschland, umgesetzt worden. In der augenblicklichen Kooperations-Euphorie könnte dieser Umsetzungsprozess nun beschleunigt werden. Der Rat hat alle EU-Staaten aufgefordert, ein Inkrafttreten der Abkommen zum Jahreswechsel sicherzustellen.

Dass die Kommission nun mit dem „europäischen Haftbefehl“ und der automatischen Überstellung der Verdächtigen ein noch schnittigeres Verfahren vorschlägt, hat im Rat nicht nur Freude ausgelöst. Mancher Minister fürchtet, dass hier die Kräfte verzettelt werden: Statt das (fast) Erreichte schnell umzusetzen, wird nun wieder ein ganz neues Projekt begonnen.

Probleme gibt es bei Auslieferungen oft, wenn es um politische Delikte geht. So sah das Europaratsabkommen vor, dass bei politischen Straftaten keine Auslieferung verlangt werden kann. Die Staaten wollten nicht in innenpolitische Händel anderer Staaten hineingezogen werden. In den 70er-Jahren wurde diese Zurückhaltung zumindest teilweise aufgegeben. In zwei weiteren Abkommen wurde vereinbart, dass bei Völkermord und Kriegsverbrechen sowie bei terroristischen Delikten eine Auslieferung doch erfolgen muss.

Ein weiteres Problem stellte sich aber durch das Kriterium der „beidseitigen Strafbarkeit“. Nur wenn eine Tat in beiden beteiligten Staaten strafbar ist, muss eine Auslieferung erfolgen. Auch hier sind politische Delikte, etwa strafbare Meinungsäußerungen, problematisch.

Eine Anpassung des Strafrechts der Mitgliedsstaaten kann aber nur in kleinen Schritten erfolgen. So wurde 1998 auf EU-Ebene vereinbart, schon die Mitgliedschaft in einer „kriminellen Vereinigung“ zu bestrafen. Deutschland hat hier jedoch wenig Nachholbedarf. Das Strafgesetzbuch ist nur durch einen Paragraf 129 b zu ergänzen, so dass künftig auch ausländische Vereinigungen in Deutschland verfolgt werden können (vgl. taz vom 19. und 20. 9. 2001).

Strafe für Ermutigung

In eine ähnliche Richtung geht nun der Vorschlag der Kommission, europaweit „Terrorismus“ zu bestrafen. Auch diese Definition ist vor allem im Hinblick auf die Auslieferung „terroristischer“ Straftäter relevant, dürfte aber wegen der vorgesehenen teilweise drakonischen Strafdrohungen auch für innenpolitischen Wirbel sorgen.

In dem Vorschlag, der der taz vorliegt, definiert die Kommission „terroristische Straftaten“ unter zwei Gesichtspunkten. Zum einen werden bestimmte Straftaten aufgezählt, die von Mord und Geiselnahme über Raub und Waffenlieferung bis hin zur „Ermutigung einer terroristischen Vereinigung“ reichen. Zum anderen wird aber auch eine Zielrichtung des Täters oder der Gruppe vorausgesetzt. Danach müssen die Taten darauf gerichtet sein, staatliche Institutionen oder die Bevölkerung einzuschüchtern oder ihre Strukturen zu schädigen oder zu zerstören.

Zwei Unterschiede zum deutschen Strafrecht fallen dabei ins Auge. Erstens können nach dem Kommissionsvorschlag auch Einzeltäter als Terroristen angesehen werden. Zweitens stellt der deutsche Paragraf 129 a nicht auf die Zielsetzung der Täter ab. Sollte der Vorschlag beschlossen werden, müsste Deutschland auch die Strafandrohungen teilweise drastisch erhöhen. So möchte die Kommission für den eher uferlosen Tatbestand „Ermutigung einer terroristischen Vereinigung“ eine Mindeststrafe von sieben Jahren vorsehen. Derzeit wird das ebenfalls bedenkliche „Werben für eine terroristische Vereinigung“ mit Haft zwischen sechs Monaten und fünf Jahren bedroht.

Diese heikle Diskussion könnte nun durchaus die möglichen Fortschritte bei der Auslieferung von „gewöhnlichen“ Straftätern und Verdächtigen verzögern. Möglicherweise schadet deshalb das gut gemeinte Vorpreschen der Kommission mehr, als es nützt. Bis zum 7. Dezember will der Rat sich über beide Vorschläge geeinigt haben. Ein ehrgeiziger Zeitplan. CHRISTIAN RATH