: Nie sozialarbeiterisch
Ungewaschen, aber engagiert: Eine Erinnerung an den Pfefferberg, der nach zehn Jahren schließt. Wird 2003 eine der üblichen „Kulturfabrikanlage“ daraus?
Wenn man von der Schönhauser Allee her auf den Pfefferberg zugeht, sieht alles prima aus. Zwar haben es die wilden Plakatierer ein bisschen übertrieben, zwar liegen ein paar Flaschen mehr als in Berlin üblich vor der Mauer am Eingang des Technoclubs Subground herum, doch sonst ist der Weg zum Biergarten des Pfefferbergs für Berliner Verhältnisse sauber. Wenn man dann die Treppe hochkommt, an dem komisch-kitschigen Brunnen vorbeigeht und in Richtung des Pfefferberg-Saales strebt, hat man entweder einen großen, dennoch nicht völlig erschlossenen Biergarten vor sich oder aber einer obskure Winterlandschaft, je nach Jahreszeit.
Kommt man von der „falschen Seite“, also von der Christinenstraße, so blickt man in eine Industriebrache, von der man kaum glaubt, dass hier jemand künstlert oder gar an der Stadtkulturentwicklung arbeitet. Dort öffnet sich ein Hof, der zwar akkurat gepflastert ist und in dem alle Kriegsschäden beseitigt wurden; doch scheint es, dass hier weder Fleiß noch Liebe die letzten zehn Jahre bestimmt haben. Bereits das einstige Pförtnerhäuschen droht unter dem nächsten Nieselregen zusammenzubrechen, an einigen Gebäuden sind die Türfenster eingeschlagen, der Müll regiert. 1996, bei einem Besuch auf dieser Seite des Hofes – ein Bekannter hatte dort sein Werbebüro –, bin ich beinahe die Treppe heruntergefallen, weil es plötzlich kein Licht mehr im Treppenhaus gab. Als ich von meinem Beinahe-Unfall berichtete, wurde mir lächelnd erklärt, das sei hier völlig normal.
Der Pfefferberg ist ein Berliner Phänomen. Dabei ist die Geschichte des denkmalgeschützen Gebäudekomplexes wenig spektakulär für einen Industriebau in Ostberlin. Im Jahr 1841 wurde das Gelände durch den bayerischen Braumeister Pfeffer erschlossen. Auf den Ausläufern des Höhenzugs Barnim vor den Toren der Stadt gründete er seine Brauerei Pfefferberg mit angeschlossenem Biergarten. Die heutige Gestalt erlangte die 13.504 qm große Fabrikanlage in der Gründerzeit: Nach Pfeffer übernahm die Schultheiss-Brauerei das Gelände, ab 1921 residierte hier die „Hoffmann-Schokolade-Kommanditgesellschaft auf Aktien“, es folgte die Großbäckerei „Germania“, die 1949 aufgrund ihrer massiven Beschäftigung von ZwangsarbeiterInnen enteignet wurde. Zu Zeiten der DDR gab es hier eine Großküche mit angeschlossener Arbeiterversorgung, dazu der Fuhrpark und die Druckerei des Neuen Deutschlands, eine Außenstelle der Poliklinik der Bauarbeiter, Verwaltungen und Lehrwerkstätten. Immer wieder geht das Gerücht um, dass spätestens Ende der Siebzigerjahre die Staatssicherheit auf diesem Gelände Räume zur Überwachung des Prenzlauer Berges und seiner aufmüpfigen Kulturszene unterhielt.
Seit dem Mauerfall hat eben diese Kulturszene mit ihren westdeutschen FreundInnen den Pfefferberg übernommen. Hier war die legendäre Pinguin-Druckerei, hier findet sich noch immer die Galerie Meinblau, der Subground nach einigen illegalen Vorgängern in den Kellergewölben; der Garten stand für den Comicgarten offen, das Goldmund fand sich für kurze Zeit hier, die Spacebar verzauberte so manche Ahnungslose mit ihren Kräuterdrinks, und hervorragende Konzerte gab es satt. In den zehn Jahren seiner Existenz als Kultur-Ort wurde der Pfefferberg eben gerade nicht das, was man von westdeutschen Alternativzentren kennt. Er war niemals auf sozialarbeiterische Weise durchgeplant.
Heute schließt der Pfefferberg vorerst die Tore. Zur Neueröffnung im Januar 2003 soll dann alles ganz neu werden, doch was man bislang an Cyber-Kultur-Plänen seitens des Pfefferwerks, also des Betreibers des Kulturberges, zu hören bekam, klingt eher nach Hauptstadt-Größenwahn. Es steht also ernsthaft zu befürchten, dass aus dem Pfefferberg etwas ähnlich Scheußliches wie die renovierte Kulturbauerei wird, mit Schicki-Club, sterilen Büros, schlimmstenfalls sogar dämlichen Beschriftungen der einzelnen Gebäudeteile. Also eben eine klassisch westdeutsche „Kulturfabrikanlage“. Darum geht man heute besser noch mal hin, um sich zu verabschieden. JÖRG SUNDERMEIER
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