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Patrioten unter sich

Markus Roscher, 38, geht mit Heinrich Lummer, 69, im Prenzlauer Berg auf Kneipentour. Trotz des Altersunterschieds ist man sich einig: In Pankow findet man noch Deutschland. Und die örtlichen Biertrinker sollen endlich auch CDU wählen

von HEIKE KLEFFNER

Der Applaus verhallt in der dunklen Kneipe. Doch der Jubel von einem knappen Dutzend Gästen gilt nicht dem Mann mit dem kantigen Kinn und der ordentlich gescheitelten schwarzen Fönfrisur am Ecktisch, sondern dem Fernsehen. Auf dem Bildschirm hat Union Berlin gerade das dritte Tor im Spiel gegen die Gastmannschaft aus Finnland geschossen, und niemand beachtet ihn: Markus Roscher, 38, Rechtsanwalt, ehemals beim „national-liberalen“ Flügel der FDP, dann stellvertretender Bundesvorsitzender des rechtlastigen „Bund Freier Bürger“ und nun Abgeordnetenhauskandidat der CDU und Direktkandidat für den nördlichen Prenzlauer Berg.

Zur Kneipentour durch den nördlichen Prenzlauer Berg mit Exinnensenator und Immer-noch-Rechtsaußen Heinrich Lummer hat Roscher an diesem Abend geladen. Wenn auch nicht wirklich öffentlich. Roscher hat Angst vor „der Antifa“ und deshalb will er auch der taz-Reporterin vorher nicht verraten, wohin es gehen soll.

Erste Station: Die „Bornholmer Hütte“, Berliner Traditionskneipe ganz in Braun, Stammlokal des CDU-Ortsverbandes. Die Begrüßung durch die Wirtin fällt herzlich aus. Sie ist bekennendes CDU-Mitglied in einem Bezirk, in dem die Christdemokraten bei den Wahlen 1999 mit gerade einmal 20,6 Prozent weit abgeschlagen hinter der PDS, aber immer noch vor der SPD landeten, und freut sich, „den Markus“ zu sehen, der hier auch Skatturniere für wohltätige Zwecke betreut. Der klammert sich an sein Bier, tätschelt „Heron“ dem Dalmatiner den Kopf und versucht das Beste daraus zu machen, dass sich außer seiner Freundin, Lummer, einer gepflegten Mittfünfzigerin und zwei Polizeibeamten niemand einfindet, um mit ihm die Kneipenwelt im Prenzlauer Berg zu erkunden.

Die Anwesenheit der uniformierten Begleiter erklärt Roscher mit einem Vorfall vom letzten Wochenende, der ihm immerhin fünf Zeilen und eine namentliche Erwähnung in einer Berliner Zeitung einbrachte. Da hatte ein Unbekannter das Wahlmaterial vom Tisch gefegt, hinter dem Roscher stand. Anschließend habe man sich gegenseitig im Schwitzkasten gehabt, berichtet der Kandidat.

Den ersten Termin hat Roscher schon hinter sich: „Beratung“ in der Wärmestube der Heilsarmee gleich um die Ecke. Hier versinkt das edle Grau des Kandidatenanzugs in der Secondhand-Couch im Hinterzimmer, wo innerhalb einer Stunde vier Ratsuchende den Rechtsanwalt um Informationen bitten. Zum Beispiel Axel, 33, und arbeitsloser Kontrabassist. Nach dem Gespräch mit Roscher ist er zufrieden. „Der hat mir zugehört und schlaue Tipps gegeben.“ Aber ihm bei der Wahl die Stimme geben? Axel lacht. „Niemals.“ Dann setzt er sich an einen der Tische mit den Plastickdecken und löffelt den Eintopf, der hier an zwei Dutzend Männer und Frauen jeden Alters ausgeteilt wird. Der Kandidat betont, er sei hier schon zum zweiten Mal, und keineswegs zu Wahlkampfzwecken, sondern um den „armen Menschen“ zu helfen.

Ungewohnte Töne von einem, der sich selbst als Vertreter „konservativer, liberaler, bürgerlicher und patriotischer“ Positionen bezeichnet und jahrelang als „Rechtausleger der FDP“ durch die Berliner Medien geisterte. Und in der Vergangenheit unter anderem dadurch aufgefallen ist, dass er mit dem Bund Freier Bürger zu den Ersten gehörte, die gegen den Bau des Holocaust-Mahnmals auf der Straße mobil machten. Das war 1998 und bereitete nach Ansicht von Beobachtern den Boden für spätere Aufmärsche von einigen hundert Neonazis gegen das Mahnmal. Spricht man Roscher darauf an, rudern die Hände durch die Luft, und die Sätze des Kandidaten gewinnen an Schärfe. Das Mahnmal sei „in dieser Größe zugleich auch ein ständiger Vorwurf an das deutsche Volk, den die junge Generation nicht verdient hat“, sagt er dann und beruft sich auf Eberhard Diepgen. Im Übrigen sei er nicht für alle verantwortlich, die sich dem Protest angeschlossen hätten.

Nein, Markus Roscher bereut nichts. Wer ihm heute zuhört, versteht auch warum. Der selbst ernannte „Rechts- und Sicherheitsexperte“ hat in der CDU einen neue Heimat gefunden. „Eine Volkspartei, in der es auch andere Auffassungen gibt“, sagt Roscher. Aber die könne er durchaus tolerieren, so „wie ich in der CDU auch toleriert werde“. Daraus, dass Roland Koch und Heinrich Lummer ihm nahe stehen, macht der Kandidat keinen Hehl. Warum er mit diesen Positionen ausgerechnet in einem als linkslastig geltenden Bezirk wie Pankow kandidiert? Roscher redet sich warm, erzählt, dass er vor seinem Umzug nach Pankow drei Jahre im Prenzlauer Berg gewohnt hat, spricht von seinem Engagement für mehr Anwohnerparkplätze und den Erhalt der Rettungsstelle. Von Mittelstandsförderung und rollstuhlgerechten Aufzügen an S-Bahnhöfen. Um dann doch wieder bei seinem Lieblingsthema zu landen. Davon, dass er sich in Pankow – wie der Großbezirk aus Prenzlauer Berg, Weißensee und Pankow seit der Bezirksreform heißt – anders als in Kreuzberg noch „in Deutschland fühle“. Dass Deutschland kein Einwanderungsland und eine multikulturelle Gesellschaft ein Widerspruch in sich sei, weil eine Vermischung der Kulturen die Zerstörung der eigenen Kultur bedeute. Es sind Versatzstücke aus der Rhetorik der neuen Rechten, die da durch die rauchgeschwängerte Kneipe ziehen. Von einem Kandidaten, der sich als „Vertreter der schweigenden Mehrheit“ in der Rolle des Opfers hineinredet – von den Medien ignoriert und den Linken verfolgt. Nur das Publikum fehlt an diesem Abend.

Daran ändert auch die nächste Station der Tour nichts. „Das Mauerblümchen“ heißt die im Ostalgiestil aufgemachte Kneipe, in der sich Alteingessessene mit Zugezogenen und Touristen zwischen VEB-Plakaten um frei werdende Tische drängeln. Den Kandidaten mit dem langen dunkelblauen Mantel, der nun bemüht lässig am Tresen lehnt, kennt hier niemand. Vielleicht weil die Plakate mit Roschers Sonntagslächeln in der nahen Schönhauser Allee an den Laternenmasten weit oberhalb der Kopfhöhe – und damit außerhalb der Reichweite von gemeinen Sprayern und politischen Gegnern – angebracht sind. Nur als Lummer lächelnd den Mauerrest in der Decke bestaunt, stellt sich in den Blicken einiger Gäste der Wiedererkennungseffekt ein. „Niemals würde ich CDU wählen, nach dem Finanzskandalen von Landowsky und Kohl“, sagt ein 21-jähriger Zimmermann, der mit seine Freunden hier Skat spielt. „Die haben doch alle Ideale total verraten“, stimmt sein Nachbar zu. Dann diskutieren sie, ob man Gysi oder Grün wählen solle. Auch das Trio „über 30“ neben dem Eingang findet die Vorstellung absurd, der CDU die Stimme zu geben. „Wegen der schlechten Bildungspolitik und dem Filz.“ Und mit dem Kandidaten, der da zum Greifen nahe steht, darüber diskutieren? „Zeitverschwendung“, lautet die Antwort. Selbst ein IT-Geschäftsführer, der sich ohne zu zögern als „CDU-nah“ outet, hat keinen Gesprächsbedarf. „Ich will hier einen netten Abend verbringen.“

Am Tresen drängt der Kandidat zum Aufbruch. Hände hat er hier kaum geschüttelt, und so sind ihm die vernichtenden Urteile der Gäste über die CDU-Politik erspart geblieben. In der nächsten Kneipe wartet Frank Steffel, heißt es. Roscher hofft, dass sich dort auch einige der rund achtzig bislang unsichtbaren Mitglieder des CDU-Ortsverbandes eingefunden haben. Dann klettert er mit Lummer in das Polizeiauto, das vor dem „Mauerblümchen“ vorgefahren ist. „Sicherheit fängt vor der Haustür an“, wirbt die CDU. Zumindest der Kandidat kann sich nicht über leere Versprechungen beklagen.

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