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ejectADRIENNE WOLTERSDORF über 125 Jahre „Vorwärts“

„parteilich, politisch, initiativ“

So frisch kommt nach 125 Jahren das oft totgesagte Zentralorgan sozialdemokratischer Publizistik daher. Mit viel Politprominenz feierte es sein beharrliches Erscheinen. 125 Jahre Vorwärts, da durfte auch ein Feuerwehrmann der New Yorker Rettungsbrigade nicht fehlen. Nicht, dass er etwas über das Bäckerblumen-Layout der SPD-Mitgliederzeitung zu sagen hatte. Er sei zufällig in Berlin um am Sonntag am Marathon teilzunehmen. Da könne er auch gleich die Tombola-Erlöse (10 Mark pro Los, keine Nieten) für die Hinterbliebenen seiner am World Trade Center getöteten Kollegen mitnehmen. Größter Applaus. Doch wir wollten über den Vorwärts sprechen.

Die Sause begann mit einem musikalischen walk act. Zwar hatten die Musizierenden keinen Blaumann an, aber der Akt des Marschierens symbolisierte natürlich subtilst die straßenkämpferischen Traditionen der Sozialdemokratie. Bauhelm-Baletttänzer stampften später den rund 2.500 Gästen kurz die proletarische Dimension von Kultur ins linke Gemüt. Und Klaus Wowereit, der SPD-Regierende von Berlin, sagte wahlkämpferisch, dass es richtig sei, gemeinsam mit Amerika den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Unterdessen verschenkte die Postbank Leinentaschen mit postgelben Taschentüchern und Kugelschreiber. Und tief dekolletierte Hostessen vergaben Äpfel mit dem aufpigmentierten Vorwärts-Signet.

Der Vorwärts. Das Blatt selbst gab es am ovalen Kiosk eines stadtbekannten schwäbischen Toilettenhäuschen-Herstellers, genau gegen über der Lufthansa-Lounge, und ein Kanzleramts-Mitarbeiter sagte, dass er im Vorwärts am liebsten die Kleinanzeigen lese. „Die Herausforderungen sind groß, die SPD wird gebraucht“, rief dagegen Franz Müntefering, irgendetwas musste er ja rufen. Ursprünglich hätte hier der Kanzler reden sollen, der Kanzler aller Medien und also auch des Vorwärts aber, dafür hätten sicherlich alle Verständnis, er sei angesichts der drückenden außenpolitischen Ereignisse leider verhindert. Tatsächlich. Gerhard Schröder hatte eine handverlesene Journalistenschar zum abendlichen Hintergrundplausch eingeladen. So viel zum Vorwärts.

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