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St. Pauli investiert

Das Spiel gegen Borussia Dortmund setzen die Kiezkicker mit 1:2 in den Sand und bald auch ein neues Stadion

HAMBURG taz ■ Matthias Sammer sei Dank, dass die Partie nicht zu einer langweiligen Angelegenheit verkam. Beim 2:1-Erfolg seiner Mannschaft am Hamburger Millerntor wurde es nach 70 Minuten und einer 2:0-Führung dann noch mal richtig hitzig.

Was war passiert? Völlig losgelöst sprang Matthias Sammer auf den Platz, um seinen Spieler Evanilson nach einem Foul aus einer aufgebrachten Spielertraube zu reißen und ihn so vor einer Roten Karte zu bewahren. Mit der Folge, dass der impulsive Coach selbst das Feld verlassen musste. „In dieser Situation war ich kein Vorbild, kein guter Trainer“, entschuldigte sich Sammer. Statt auf die Tribüne hinter den Trainerbänken zu gehen, wo die eingefleischten St.-Pauli-Fans stehen, zog es der Dortmunder Trainer aber vor, hinter die Banden an der Grundlinie zu verschwinden. „Es wird doch jeder nachvollziehen können, warum Matthias Sammer nicht in die Fankurve gegangen ist, obwohl das hinter der Trainerbank alles nette Kollegen gewesen sind“, sagte Michael Zorc, der sich zusätzlich über ein verpasstes „vier bis fünf zu null“ ärgerte. Den Fans, schon aufgebracht durch den für sie unsäglichen Ausgang der Hamburger Bürgerschaftswahl, kam diese Szene gerade recht, um die Stimmung vom Feld aufzusaugen und in weitere Anfeuerungen zu übertragen. Auf die knapp 20 Prozent der rechtspopulistischen Partei des Richters Ronald Schill reagierten die Fans unter anderem mit einem „Schill-out-Zone“-Plakat.

Es war also wieder sehr laut am Millerntor, nicht zuletzt weil es die Dortmunder versäumten, ihre überlegene Spielweise in Tore umzumünzen. So verschoss Jan Koller folgerichtig nach den Gesetzmäßigkeiten des Fußballs in der 75. Minute einen Foulelfmeter und brachte den Tabellenletzten wieder zurück ins Spiel. Prompt erzielte Thomas Meggle den Anschlusstreffer zum 1:2. Den unverdienten Ausgleich für die Gastgeber verhinderte kurz vor Ende der Partie nur der Pfosten nach einem Schuss von Zlatan Bajramovic. „Wir sind erst nach dem Rückstand mutig geworden, jetzt müssen wir lernen, von Anfang an couragierter aufzutreten“, sagte St.-Pauli-Trainer Dietmar Demuth. „Es ist beeindruckend, hier zu sein“, lobte Matthias Sammer die Stimmung im Holzverhau Millerntor, bevor er von Ewerthon schwärmte: „Er hat bewiesen, dass er ein wichtiger Mann für uns werden kann.“

„Die Gewöhnungszeit muss jetzt langsam abgeschlossen sein, und wir müssen mehr nach vorne spielen“, sagte St.-Pauli-Manager Stephan Beutel. Einen Klassenerhalt dank origineller Fankultur wird es nicht geben. Wohl auch nicht aufgrund der tollen neuen Baupläne fürs Stadion. Der Dortmunder Manager Michael Meier stellte die Stadionneubauvorhaben des FC St. Pauli schon mal in Frage: „Die sollten das Stadion so lassen. Es ist ein willkommener und freundlicher Kontrapunkt zu den herkömmlichen Stadien.“ Die mittelfristigen Ziele des St.-Pauli-Präsidenten Reenald Koch sehen aber den dringlichen Neubau des Millerntor-Stadions vor. Langsam möchte man sich beim FC St.Pauli strukturell an die Bundesliga herantasten und hat mit einem Nachwuchszentrum und dem Konzept für den Stadionneubau erste Schritte getan. Der „Betriebsunfall“ Bundesliga hilft dem Verein zwar finanziell bei der Verwirklichung der Projekte, der Aufstieg war aber erst fürs kommende Jahr vorgesehen. Zu Recht behaupten einige Spötter, das ein vorrangiges Ziel der Erstligazugehörigkeit in diesem Jahr das Anrollen der Bagger auf dem Heiligengeistfeld sein sollte. 120 Millionen Mark sollen investiert werden. Mit dabei: der Hauptsponsor mit einer höheren zweistelligen Millionensumme. Das Versicherungsunternehmen und der FC St. Pauli wollen die Gebäude als Mieter nutzen, bis der Verein „auf Grundlage der für die 2. Liga geschätzten Kalkulationen“ (Koch) das Stadion in etwa 20 Jahren als Eigentümer übernimmt. „Das passt zu meiner Strategie, den Verein wirtschaftlich solide zu führen und keine finanziellen Risiken einzugehen“, erklärte Reenald Koch. Das Stadion soll Platz für 30.000 Zuschauer bieten.

OKE GÖTTLICH

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