„Ohnmacht wird zu Omnipotenz“

Der Islamwissenschaftler Gernot Rotter hält den aufgetauchten Terror-Leitfaden für pseudotheologisch unterfütterte „Gehirnwäsche“

Interview EDITH KRESTA

taz: Herr Rotter, eine psychische Verhaltenslogistik zu dem Terroranschlag vom 11. September soll in der Reisetasche Mohammed Attas gefunden worden sein. Die Bundesregierung wollte sie zunächst nicht veröffentlichen – aus Angst, antiislamische Stimmung zu wecken.

Gernot Rotter: Ich hoffe, dass der größte Teil der deutschen Bevölkerung sagt, das sind schlicht Wahnsinnige gewesen. Meine Angst ist, dass sich mancher muslimische Heißsporn, der sich gedemütigt fühlt und zu radikalem Gedankengut neigt, daran orientiert und Scharfmacher Zulauf bekommen.

Obwohl die Semantik für unsere Ohren völlig mittelalterlich klingt und nicht nachvollziehbar ist?

In der Tat ist es das nicht. Das liegt daran, dass in der orientalischen Welt Religon allgemein einen höheren Stellenwert einnimmt. Während bei uns der größte Teil, wenn nicht bekennend atheistisch, so doch weitgehend areligiös ist.

Warum sollen sich die Attentäter, so steht es in der Anweisung, enthaaren , parfümieren und besonders gut kleiden?

Bei der Gehirnwäsche, die hier betrieben wird, ist es die Vorbereitung auf einen besonders heiligen Akt.

Wird in dem Leitfaden für den Terroranschlag mit Koranversen argumentiert?

Passagen aus dem Koran werden bruchstückhaft zusammengestellt, aus dem Zusammenhang gerissen und ohne theologische Begründung aneinandergereiht. Diese Scharfmacher und Täter haben keine theologische Ausbildung.

Warum können sich religiöse Fanatiker trotzdem mit ihnen identifizieren?

Weil in der arabischen Welt eine unheimliche kulturelle Verunsicherung gegenüber dem Westen herrscht. Man kann in der arabischen Welt nicht nachvollziehen, dass die islamische Zivilisation, die im Mittelalter gegenüber dem christlichen Abendland führend war, so an Bedeutung verloren hat. Das ist die Stunde der Demagogen. Die sagen: Das ist die Strafe dafür, dass wir die islamischen Werte verloren haben. Und sie legen dann fest, welche Werte gelten sollen.

Sie spielen also mit der Ohnmacht und machen daraus Omnipotenzfantasien?

Ganz genau. Aus Ohnmacht können ja leicht Omnipotenzgefühle entstehen.

Gepaart mit Frauenverachtung, wie es das zweite gefundene Dokument, das Testament Attas nahe legt?

Hier ist der Psychologe gefragt. Da wird die Frauenfeindlichkeit manisch. Dass Frauen nicht ans Grab kommen dürfen: Das habe ich noch nie gehört. Es scheint den Gedanken von Frauenhassern beziehungsweise solchen, die Angst vor allem weiblichen haben, entsprungen zu sein.

Die sind nicht nur frauenfeindlich, sondern auch unversöhnlich: „Ich will nicht, dass mich jemand besucht, mit dem ich mich zu Lebzeiten nicht verstanden haben.“ Gibt es das Prinzip der Verzeihung nicht im Islam?

Natürlich gibt es das.

Und warum sollen die Genitalien nur mit Handschuhen gewaschen werden?

Dass die Wäsche nur ein Mann machen darf, ist nachvollziehbar. Aber Handschuhe? Hier hört meine Kompetenz als Islamwissenschaftler auf. Sie müssen hier einen Fachmann für Sexualphobien befragen.