Bordellbesuche für den Alten Fritz

Immer mehr Korruptionsfälle werden aufgedeckt. Doch Haftbefehle gibt es selten: Die Täter sind „im öffentlichen Dienst sozial integriert“, sagt Justizsenator Wieland. Er fordert mehr EU-weite Ausschreibungen bei Bauaufträgen

In Berlin werden immer mehr Fälle von Korruption entdeckt. Mit 517 offenen Verfahren hat das Ausmaß der polizeilichen Ermittlungen schon jetzt das Niveau des Vorjahres übertroffen. „Mehrere hundert Verfahren müssen noch in diesem Jahr eingeleitet werden“, teilte Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne) gestern mit.

Die Flut der Ermittlungen sei vor allem durch einen aufgeflogenen Bauoberamtsrat in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ausgelöst worden. Dieser habe nach Erkenntnissen der LKA-Ermittlungsgruppe „Brücke“ mit Scheinausschreibungen für Brückensanierungen insgesamt rund 1,2 Millionen Euro kassiert. Die Gelder wurden inzwischen beschlagnahmt. „Geschädigt ist der Steuerzahler“, sagte Wieland. Er geht davon aus, dass solche Kartelle in vielen bezirklichen Bauverwaltungen existieren.

Nach Angaben des Justizsenators waren unter anderem bei der Vergabe der Sanierung des Reiterstandbilds von Friedrich II. als Gegenleistung Bordellbesuche bezahlt worden. Aber auch in der Ausländerbehörde seien Aufenthaltsgenehmigungen für Zuwendungen in Höhe von rund 2.000 Mark erhältlich gewesen.

Die Zahl der aufgedeckten Korruptionsfälle hat sich seit 1995 mehr als verdoppelt. Nach Angaben des Oberstaatsanwalts Claus-Peter Wulff, Leiter der Zentralstelle Korruptionsbekämpfung, steigt die Zahl der Anklageerhebungen jährlich um rund fünf Prozent an. Die Zunahme führte Wulff auf eine verbesserte Strafverfolgung zurück. Allerdings würden die Täter selten in Untersuchungshaft genommen, sagte Wieland. Diese seien „durch ihre Tätigkeit im öffentlichen Dienst sozial integriert“. Wulff schätzte, dass durch die hohe Korruptionsanfälligkeit die Durchführung eines Auftrages im öffentlichen Dienst im Schnitt bis zu 30 Prozent teurer sei als in der Privatwirtschaft.

Der Justizsenator sprach sich für eine verstärkte EU-weite Ausschreibung von Bauaufträgen aus. „Beschränkte Vergabeverfahren begünstigen Korruption“, sagte Oberstaatsanwalt Wulff. Der SPD-Rechtsexperte Klaus-Uwe Benneter forderte dagegen eine sorgfältige Prüfung. Die beschränkte Auftragsvergabe bis zu einem bestimmten Volumen diene dazu, die Auftragslage der regionalen Bauindustrie zu stärken. Wieland und Wulff plädierten außerdem für eine schnelle Verabschiedung von Sponsoring-Richtlinien für öffentliche Einrichtungen, die derzeit im Senat diskutiert werden.

ANDREAS SPANNBAUER