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Ein guter Freund

Exkanzler Kohl machte seine Drohung wahr und trat im Berliner Wahlkampf auf. Er tat, was zu erwarten war, und griff Rot-Grün und PDS an

aus Berlin ROLF LAUTENSCHLÄGER

Auch in der Politik regelt das Angebot die Nachfrage. Spürbar wurde das ökonomische Gesetz am Dienstagabend für Eberhard Diepgen, einstiger Regierender Bürgermeister in Berlin. Als Diepgen auf der „Großkundgebung“ der Union zum Jahrestag der Deutschen Einheit ans Rednerpult trat, verließ ein Drittel der rund 4.000 Zuhörer fluchtartig den Wittenbergplatz im Westteil der Stadt – ein deutliches Zeichen, glaubt doch zwei Wochen vor der Landtagswahl selbst in der Union kaum jemand, die Berliner CDU und ihr Spitzenkandidat Frank Steffel könnten das Stimmungstief bis zum 21. Oktober überwinden.

Wer dies könnte, war dagegen klar. Und wegen „ihm“, nicht wegen Diepgen oder Steffel, waren die CDU-Anhänger gekommen. Das „Highlight“, wie die Berliner Parteiführung vermeldete, das Strahlkraft in den glanzlosen Wahlkampf der Landespartei bringen sollte, war Helmut Kohl. Monate nach dem Tod seiner Frau und der Schmach, zum 40. Tag des Mauerbaus nicht sprechen zu dürfen, hatte der Exkanzler seinen ersten großen Auftritt.

Es sollte einAuftritt so recht nach dem Geschmack des „Alten“ werden. Blitzlichter zuckten, „Helmut! Helmut!“-Rufe hallten über den Platz, und die Kapelle intonierte „Ein Freund, ein guter Freund“. Die Botschaft aus der Hauptstadt war deutlich: Vergessen ist die CDU-Spendenaffäre, mit denen Kohl die Partei zerrüttet hatte. Vergessen sind auch die Personaldebatten, würdigte doch zu Beginn der Kundgebung CDU-Chefin Angela Merkel in ihrer Rolle als Anmoderatorin „die Verdienste des Kanzlers der Einheit, unseres lieben Helmut Kohl“. So viel Einheit war lange nicht mehr in der Union.

Doch Kohl wäre nicht Kohl gewesen, hätte er aus der Festveranstaltung zum 11. Jahrestag der Wiedervereinigung nicht eine Feier seiner selbst inszeniert. Es sei zwar „Wahlkampf“ und in Berlin gelte es „den Probelauf“ der rot-grünen Regierung „unter Beteiligung der PDS ein für alle Mal zu beenden“, polterte der Exkanzler. Wer, wie die SPD, mit den „Tätern von damals“ und heutigen „Kommunisten“ in der PDS gemeinsame Sache mache, dürfe keine Chance erhalten. Mehr jedoch beschwor Kohl „dankbar“ die alten Zeiten zwischen 1989 und 1990, in denen er gemeinsam mit dem sowjetischen Parteichef Michael Gorbatschow, „unseren amerikanischen Freunden“ sowie dem französischen Präsidenten François Mitterrand die Einheit Deutschlands baute.

Erinnerungsselig ließ Kohl auch „jene dramatische Nacht“ vom 9. November 1989 an den Zuhörern vorbeiziehen, „in der die SED-Hardliner die Militärs auf die Straße lassen wollten“. Warum es dazu nicht kam, ließ der Historiker aus der Pfalz links liegen. Wichtiger war ihm der Satz: „Die Deutschen wollten keinen Revolution aus Blut, sondern nur zusammen leben.“ Da brechen auch elf Jahre später noch Jubelstürme los. Berlin, schloss Kohl, „die Stadt der Freiheit“, habe nach den Jahren der Teilung vom Fall der Mauer am meisten profitiert. Die Brücke aus Einheit und Freiheit gelte es hier am stärksten zu verteidigen, sei doch die Stadt drauf und dran von „politischen Extremisten“ regiert zu werden. Vor diesen scheint sich Berlin weniger zu fürchten, als Kohls Vorredner Steffel („Die SED und ihre Nachfolger haben Terroristen unterstützt“) glauben machen wollte. Als Diepgen als Letzter vor der „sozialistischen Gesellschaft“ warnte und zum Lagerwahlkampf aufrief, machten sich viele, wie gesagt, auf den Heimweg.

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