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: Zwang zur Schuld

Das FBI beruft eine Pressekonferenz ein und teilt einer überraschten Öffentlichkeit mit, man habe sich geirrt – Ussama Bin Laden sei unschuldig. Ist das vorstellbar? Nein, das ist nicht vorstellbar. Ussama Bin Laden ist schon sehr bald nach den Terroranschlägen als Hauptverdächtiger bezeichnet worden und die USA schickten Streitkräfte in Richtung Afghanistan. Die Welt übte sich im Schulterschluss und in der Demonstration globaler Kampfbereitschaft. Niemand legt bei Tempo 180 den Rückwärtsgang ein. Oder hat jemand ein Ergebnis der Ermittlungen für denkbar gehalten, das zu einer höflichen Entschuldigung der USA bei den Taliban und dem militärischen Rückzug aus der Region geführt hätte?

Kommentarvon BETTINA GAUS

Vor diesem Hintergrund sind alle bedeutungsschwangeren Erklärungen internationaler Politiker, sie seien jetzt persönlich ganz fest von der Schuld des Ussama Bin Laden überzeugt, nichts anderes als politische Rituale. Es bedarf keiner seherischen Fähigkeiten für die Vorhersage, dass sich demnächst auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel tief beeindruckt zeigen wird von der Wucht der Beweise, die PDS hingegen weniger. Dieses Ergebnis der Spurensuche war ebenfalls vorhersehbar: Wer an die Schuld von Bin Laden glauben möchte, wird die Beweislage für überzeugend halten – wer nicht daran glauben will, wird sie für dünn erklären.

Wenn in allzu vielen Autos und Reisetaschen vom kleinen Terroristenhandbuch bis zum Testament allzu viele hilfreiche Gegenstände gefunden werden, dann nährt das den Verdacht, dass manche Beweise fingiert worden sind. Aber selbst wenn das so sein sollte, dann hieße das noch nicht, dass Bin Laden unschuldig ist. Ob er tatsächlich als Drahtzieher hinter den Anschlägen steckt, bleibt für die Öffentlichkeit also zumindest vorläufig eine Glaubensfrage, da viele Ermittlungsergebnisse aus Sicherheitsgründen geheim gehalten werden.

So wichtig diese Frage jedoch auch ist – es gibt Wichtigeres: nämlich die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang der Terror mit militärischen Mitteln bekämpft werden darf. Die Diskussion über Schuld oder Unschuld von Ussama Bin Laden sollte davon nicht ablenken. Es ist möglich, dass er schuldig ist und die USA ihn dennoch nicht kriegen. Den somalischen Kriegsfürsten Farrah Aideed haben sie seinerzeit vergeblich gejagt, und das, obwohl sie genau wussten, dass er sich in Mogadischu aufhielt. Aideed hat damals überlebt. Viele Zivilisten nicht.