: Der Impuls zur Höhe
Sollen die New Yorker Zwillingstürme triumphal wieder aufgebaut werden? Architekten geben zu bedenken, dass Wolkenkratzer ökonomisch und ökologisch keinen Sinn machen
von AXEL KRÄMER
Noch ist es eine kühne Vision, doch schon bald könnte sie Gestalt annehmen. Über der beschaulichen Weinberglandschaft des württembergischen Neckartals soll in den kommenden drei Jahren das höchste Büro- und Wohngebäude Süddeutschlands in den Himmel wachsen – und damit dem Klischee von schwäbischer Sparsamkeit und Bescheidenheit ein für allemal ein Ende bereiten. Rund fünfhundert Millionen Mark will der New Yorker Immobilientycoon Donald Trump lockermachen, um auf einem Hügel im Norden der Stuttgarter City einen erhabenen Zweihundertmeterturm für ein Tagungszentrum mit Einkaufspassage, Luxushotel, Komfortwohnungen und repräsentativen Büroräumen zu errichten.
Michael Föll, CDU-Fraktionschef im Rathaus der Landeshauptstadt, verkündete stolz, der Trump Tower solle auf jeden Fall ein neues „Wahrzeichen“ und „kein 08/15-Hochhaus werden“. Ein so ambitioniertes Projekt wurde in der schwäbischen Hauptstadt schon lange nicht mehr realisiert – zuletzt in Zeiten des Wirtschaftswunders, als der spektakuläre Bau des Fernsehturms weltweit für Aufsehen gesorgt und gleich darauf viele Nachahmer inspiriert hatte.
Der gegenwärtige Höhenrausch ist eine Folge der von ökonomischem Optimismus geprägten Neunzigerjahre. Neue Märkte und brummende Börsen heizten in vergangenen Jahren den Fortschrittsglauben mächtig an und verliehen der Fantasie von Stadtplanern und Immobilienentwicklern Flügel – und zwar in zahlreichen deutschen Städten. So liegen etwa in Frankfurt am Main detaillierte Planungen von gleich fünfzehn neuen Wolkenkratzern für Büros und Wohnungen in der Schublade. In Berlin sollen sich in naher Zukunft acht Hochhäuser als Stadtkrone rund um den Alexanderplatz drängen. Und auch in Hannover und München wurde bereits ernsthaft über den prestigeträchtigen Luxus neuer Turmbauten für die großstädtische Silhouette nachgedacht.
Doch einige der ehrgeizigen Wolkenkratzerpläne laufen nun Gefahr, sich in papierne Wolkenkuckucksheimideen zu verwandeln, denn nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York ist das Hochhaus als Gebäudetypus wieder in Verruf geraten. Prompt haben sich in der vorigen Woche im Stuttgarter Rathaus Vertreter von Grünen und SPD zu Wort gemeldet und ausdrücklich gegen den Bau des schwäbischen Trump Towers plädiert. Obendrein warnten schon die ersten Immobilienmakler vor einer allgemein sinkenden Nachfrage nach Büroräumen in Hochhäusern.
Dabei hatten es potenzielle Bauherren von Wolkenkratzern in Europa ohnehin schon immer schwer, sich mit ihren himmelsstürmenden Ideen durchzusetzen. Ganz besonders in Deutschland. Leidenschaftlich und andauernd wurde über den Hochhausbau schon zu Zeiten der Weimarer Republik debattiert, nachdem in Chicago und New York mit wachsendem technischem Knowhow die ersten spektakulären Hochhäuser emporgeschossen waren.
Architekten wie Otto Orlando Kurz, Wilhelm Kreis oder Mies van der Rohe scheuten nicht davor zurück, nun auch die Bürger in München, Düsseldorf und Berlin mit Entwürfen für Häuser zu schockieren, die bis zu dreißig Geschosse hochragen sollten. Die meisten Planskizzen verschwanden jedoch bald wieder in der Schublade, denn in der Bevölkerung formierte sich rasch Widerstand – und „mit Vorliebe wurden die Zustände in Manhattan als Schreckensbild gezeichnet, wo die Hochhäuser sich gegenseitig Licht und Luft nähmen und man in vielen Büros den ganzen Tag bei künstlicher Beleuchtung sitzen müsse“, so der Bauhistoriker Dietrich Neumann in seinem Buch „Die Wolkenkratzer kommen!“
Als am 16. September 1921 ein US-amerikanischer Anarchist versucht hatte, mit einer Wagenladung von Sprengstoff das Morgan Building an der Wall Street in die Luft zu jagen, wurde der Vorfall auch in Deutschland besorgt registriert. Durch einen Bombenanschlag in einem Hochhaus, argwöhnten die Hochhausgegner schon in den frühen Zwanzigerjahren, könne etwa ein gestandener Großkonzern wie Stinnes mit einem Schlag lahm gelegt werden.
Deshalb verwundert es kaum, dass nun mit den apokalyptischen Bildern der einstürzenden Zwillingstürme am Südzipfel Manhattans auch heute Misstrauen gegenüber gigantischen Bauwerken wie dem Stuttgarter Trump Tower oder den Turmhäusern am Alexanderplatz wachsen. Selbst in den USA, dem Mutterland der Hochhäuser, mehren sich warnende Stimmen.
Mehr und mehr Immobilienmanager und Architekturprofessoren halten die Neuplanung von markanten Wolkenkratzern für einen Anachronismus – und dies auch nicht erst seit dem New Yorker Attentat vom 11. September. Schon nach dem vergleichsweise harmlosen Bombenanschlag in der Tiefgarage des World Trade Centers im Jahre 1993 hatte sich beispielsweise die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Deloitte & Touch LLP entschieden, ihren Sitz in eine weniger bekannte Immobilie zu verlegen.
Erfahrene Makler wie Michael Silver von der Equis Corporation zeigten sich vergangene Woche in der Welt davon überzeugt, dass zukünftig in den Vereinigten Staaten keine rekordverdächtigen Gebäudehöhen mehr angestrebt werden – auch wenn Bürgermeister Rudolph Giuliani in einer Mischung aus Verbitterung und Trotz den triumphalen Wiederaufbau des New Yorker Wahrzeichens angekündigt hat.
Philip Johnson, ehemaliger Direktor der Abteilung für Architektur am Museum of Modern Art und Erbauer einiger der markantesten Skyscrapers in den USA, erklärte bereits vor fünf Jahren, dass in Amerika keine Aufsehen erregenden Hochhäuser mehr geplant werden. Denn für ihre Errichtung gibt es tatsächlich keine rationale Begründung – weder ökologisch noch ökonomisch. „Die Baukosten dieser Gebäude stehen in keinem wirtschaftlichen Verhältnis“, so Johnson, und zwar „nirgendwo“.
Selbst das World Trade Center stand nach seiner Fertigstellung in den Siebzigerjahren lange Zeit leer, obgleich es auf dem spekulativsten Baugrund der Welt entstanden ist. Doch warum wurden dann in den vergangenen Jahren europäische und asiatische Wolkenkratzerprojekte immer noch begonnen, noch dazu mit Begeisterung?
Nach Ansicht von Johnson ist der menschliche Drang, in die Höhe zu bauen, allein auf archaisches „Machtstreben, Gottsuche und persönlichen Stolz“ zurückzuführen – ein Motiv, das sich schließlich durch fast alle Kulturen zieht, von den ägyptischen Pyramiden über die Pagoden in China bis zu gotischen Kathedralen wie dem Ulmer Münster. „Unsere Wolkenkratzer entstanden in der Wirtschaftswelt, weil wir keine religiösen Gefühle mehr auszudrücken hatten“, glaubt Johnson, „es war der Griff nach den Sternen – ein Ausdruck, keine Folge wirtschaftlicher Notwendigkeit.“
Verführerisch und bedrohlich zugleich, lassen Hochhäuser kaum einen Menschen unberührt. Sie beflügeln fast in jedem Emotionen von Ohnmacht und Allmacht, je nachdem, ob man den Schwindel erregenden Blick aus den Tiefen enger Wolkenkratzerschluchten in die Höhe wagt oder von ganz oben auf das flirrende und ungebändigte Tohuwabohu der Menschenmassen und des Verkehrs herabschaut.
Freilich rührt die Macht moderner Wolkenkratzer nicht nur von ihrer imposanten Dimension her, sondern auch von ihrer Eigenschaft als Bild- und Medienarchitektur. Hochhäuser müssen für das Setting einer Stadt und ihres Lebensgefühls herhalten, sie dienen als Kulissen für Inszenierungen in der Werbung, der Politik und im Spielfilm. So sind etwa die Turmbauten am Potsdamer Platz unmittelbar seit ihrer Fertigstellung aus dem Berlinbild der Massenmedien nicht mehr wegzudenken.
Doch kein anderes Stadtbild wurde in den vergangenen Jahrzehnten so häufig und facettenreich reproduziert wie jenes Manhattans. Kaum einen New-York-Film gibt es, in dem die Kamera nicht zu Beginn über die glitzernde Skyline Manhattans rauschen und dabei Sehnsüchte nach einem glamourösen Leben in der „Stadt der Städte“ wecken würde, wie etwa in Woody Allens melancholischer Liebeserklärung „Manhattan“ oder in der aberwitzig-albernen Komödie „Wie angelt man sich einen Millionär?“ mit Lauren Bacall und Marilyn Monroe.
Selbst so zwiespältige New-York-Porträts wie die Verfilmung von Tom Wolfes „Fegefeuer der Eitelkeiten“ kommen nicht ohne die klammheimliche, rauschhafte Faszination an den himmelsstürmenden Metropolenbildern aus. So hat zwangsläufig jeder, der zum ersten Mal den Big Apple besucht, eine Vielzahl von Ansichten der Stadt schon tausende Male zuvor zu Gesicht bekommen – transportiert mittels Postkarten und Postern, Fernsehserien und Filmen, und zwar in einer Fülle unterschiedlicher Blickwinkel.
Auch die Bilder der verstümmelten Manhattaner Skyline und der endzeitlichen Ruinenlandschaft nahe der Wall Street werden ihre Wirkung nicht verfehlen. Die tragische Szene vom Einsturz des World Trade Center, so hieß es in vielen Kommentaren, habe sich in das Bewusstsein der Menschheit eingegraben und zu einer „Erschütterung des Urvertrauens“ geführt.
So wird sich die Debatte über neue Hochhausprojekte auch in Stuttgart oder Berlin dem Einfluss der New Yorker Katastrophe nicht ganz entziehen können. Das Ende des Wolkenkratzerbaus für alle Zeiten ist damit allerdings noch lange nicht besiegelt. Denn selbst Philip Johnson, der die Zukunft von Hochhäusern einstweilen skeptisch beurteilt, ist sich sicher: „Der Impuls, in die Höhe zu bauen, wird nicht verschwinden.“
AXEL KRÄMER, 35, herkünftiger Schwabe (Nürtingen/Neckar), hat bis 1998 an der TU Berlin sozialwissenschaftliche Stadtplanung studiert
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