: Nadelstreifen, Orgelpfeifen
„Es tanzt ein Dromedar im Lukenlicht ganz wunderbar“: In der Bar jeder Vernunft beschwört Ulrich Tukur mit seinen Rhythmus Boys den versinkenden Glanz alter Zeiten
Während er am Flügel sitzt und ein paar Akkorde anstimmt, wendet er sich mit einem spitzbübischen Lächeln an eine Zuschauerin aus den ersten Reihen, spricht sie so an, wie es vielleicht ein Mann in den dreißiger Jahren in einem Café getan hätte und gibt ihr schließlich seine Telefonnummer: So beginnt Ulrich Tukur seinen Chanson-Abend „Wunderbar, dabei zu sein“, an dem er Tanzmusik aus den dreißiger und vierziger Jahren präsentiert. In braunem Nadelstreifenanzug spielt er, wie schon in seinen vorherigen Musik-Revuen, den charmanten Herzensbrecher, eine ironische Figur, wie sie bei ihm oft vorkommt.
Im Verlauf des Abends zeigt sich der Schauspieler Ulrich Tukur in erster Linie als Musiker. Er begleitet sich beim Singen entweder auf dem Flügel oder auf dem Akkordeon selbst, und macht dezent den Conferencier, während er den Klamauk seiner dreiköpfigen Band „Die Rhythmus Boys“ überlässt, die ihn mit Gitarre, Kontrabass und Schlagzeug begleiten und das Publikum, obwohl seriös in schwarze Anzüge mit dunkelroten Fliegen gekleidet, mit komischen Showeinlagen zum Lachen bringen.
Schlagzeuger Kalle imitiert sehr originell Dschungelgeräusche und einen frechen Kakadu, Kontrabassist Günther versucht sich mal als Steptänzer, mal als Bauchtänzer, und der Gitarrist Ulrich Mayer und der Gitarrist genau dazwischenn Spießer mit schmalziger Pomaverkörpert einen verklemmtede, der auf groteske Weise versucht, Jimi Hendrix zu kopieren. Am meisten aber verblüfften die drei mit ihren Körpergrößen: Schlagzeuger Kalle ist gerade mal 1,59 Meter groß, Kontrabassist Günther dagegengroß mit 2,06 Meter und der Gitarrist genau dazwischen. So stellen sie sich nach jedem Lied auf wie die Orgelpfeifen.
Mit Chansons wie „Tanzpalast“ und „Windhundwalzer“ führt Tukur zusätzlich zu seinem Können als Schauspieler und Musiker auch seine Ambitionen als Chansonschreiber vor. Komponiert im Stil der alten Tanzmusik unterscheiden sich seine Lieder zunächst kaum von den Schmachtfetzen der Vergangenheit, die Texte aber scheinen etwas vom Künstler Tukur selbst zu verraten, der lange Zeit in Hamburg gelebt hat, und der vor kurzem in das für seinen morbiden Charme bekannte Venedig gezogen ist. Da taucht dann im „Wiener Lied“ wieder der Frauenmörder auf, den Tukur ganz offensichtlich gerne spielt. Und wenn er den alten, zur Ruine verfallenen Tanzpalast besingt, verleiht er seiner Faszination an dem versinkenden Glanz früherer Zeiten Ausdruck. „Es tanzt ein Dromedar im Lukenlicht ganz wunderbar.“ ALEXANDRA HOLTZ
Heute, morgen, am 9. und 10. 10. um 20 Uhr 30 in der Bar Jeder Vernunft, Schaperstr. 24, Wilmersdorf
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