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Die Berlin Capitals sind angeschlagen in die DEL-Saison gestartet und siegen trotzdem

BERLIN taz ■ Das ist gut so, werden sich die Berlin Capitals denken: Endlich machen mal die anderen Negativschlagzeilen. Die Revier Löwen aus Oberhausen zum Beispiel haben Probleme mit den Vermietern ihrer Halle. Die Russen Sergej Vostrikov und Igor Maslennikov von den Augsburg Panthers schlugen sich auf dem Münchner Oktoberfest mit einer Horde Handtaschendiebe. Und die Caps, die bis zum Saisonstart der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) die Headlinehoheit genossen mit Überschriften wie „Finanzdesaster“ oder „Das Aus der Preußen?“ Sie sammeln Punkte; 13 aus den letzten sechs Spielen.

Gegen die Augsburger Raufbolde gab es am Freitag zwar eine 1:4-Niederlage, aber die Serie ist dennoch bemerkenswert, denn sie kommt überraschend, weil viele Leistungsträger den Verein verließen; weil sechs Wochen Vorbereitungszeit im Ringen um die DEL-Lizenz verloren ging; weil immer noch zu wenig Spieler im Kader stehen und die übrigen am Rande der Überlastung; auch weil die Erfolge für die Verantwortlichen der Caps unverhofft kamen. In den Büros der Deutschlandhalle in Berlin-Charlottenburg rechnete man zu Saisonbeginn mit deftigen Niederlagen. „Wir kriegen anfangs ganz bestimmt die Hucke voll“, sagte Pressesprecher Hans-Peter Harbig. Trainer Gunnar Leidborg funktionierte die ersten Punktspiele in „Vorbereitungsspiele“ um. „Nicht Letzter zu werden, wäre schon ein Erfolg“, sagte der Schwede über die Saisonpläne.

Das haben die Capitals mittlerweile geschafft. Obwohl sie mit einem Handicap von sechs Minuspunkten in die Saison starteten, liegen sie zurzeit mit sieben Pluszählern auf dem vorletzten Platz, vor den Frankfurt Lions, Sportdirektor Olle Öst prognostiziert nun sogar „Platz sieben bis zehn“ nach Ablauf der Saison. Das erscheint möglich, sofern die Kräfte nicht versiegen. Denn die Erfolge kosteten viel Energie. Leidborg fordert deshalb Verstärkungen, aber es ist wenig Geld da. Immerhin: Am Samstag stieß der Kanadier Corey Foster zum Team. Ganz langsam füllt sich der Kader auf.

Bemerkenswert ist die Ruhe, mit der Leidborg arbeitet und die er an seine Mannschaft weitergibt. Der Trainer des Jahres 2000 hat in der Krise stets die Übersicht bewahrt. „Ich wollte nach Berlin“, sagt er. Immer? Trotz des Finanzchaos? Wenn es ganz schlimm gekommen wäre, dann hätte er sich eben in die „Trainer-Warteschleife“ begeben. „Im Herbst wird immer irgendwo ein Trainer gefeuert“, sagt der 45-Jährige gleichmütig. Früher stand Leidborg im Tor bei AIK Stockholm. Er galt als einer der besten Eishockey-Goalies. Wer sich Pucks mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h entgegen stellt, den erschrickt wohl kaum etwas im Leben, den kümmern Normen wenig, der reagiert unkonventionell. Als Augsburg vor zwei Jahren seinen Vertrag nicht verlängerte, löste er seinen Hausrat auf und zog mit Ehefrau Andrea und Sohn Colin in ein Wohnmobil und fuhr umher, bis das Haus in Schweden bezugsfertig war.

„Ich sehe nicht die Probleme, sondern die Möglichkeiten“, sagt er. Diese Lebensmaxime war ihm auf seiner Trainerkarriere stets von Vorteil, ob beim EHC Lustenau, dem Schwenninger ERC, in Augsburger oder zuletzt bei den Revier Löwen. Die Schlittschuhläufer aus dem Ruhrgebiet brachte er in der vergangenen Saison kurzzeitig an die Tabellenspitze der DEL, woraufhin die SZ bemerkte: „Es klingt wie das Drehbuch einer zweitklassigen deutschen Kinokomödie: Ein gemütlicher Wohnmobil-Chauffeur übernimmt ein schrottreifes Auto, motzt es mit verrosteten Teilen eines Trabis auf und gewinnt die Formel-1-WM.“

Leidborgs derzeitige Rolle ist ein wenig anders. Etwa so: Er hat eine betagte, recht noble Karosse übernommen, die der reiche Vereinsonkel Egon Banghard für eine Menge Geld auslöste. Viele Teile fehlen. Welche genau, muss noch geprüft werden. Trotzdem versucht Leidborg, das schwerfällige Gefährt über die Autobahn zu jagen, wohl wissend, dass er dabei das Lenkrad plötzlich lose in der Hand halten kann. MARKUS VÖLKER