piwik no script img

„Romeo und Julia“ auf old school

■ Die Aufführung im Oldenburger Staatstheater bringt nichts besonders Ausdrucksstarkes und schon gar nichts Neues – nur einzelne Figuren glänzen

Wie war das? Die Postmoderne ist der Scheitelpunkt einer Hyperbel. Von da aus geht's wieder abwärts in die Archaik.

Sagten die Dekonstruktivisten. Und das Oldenburgische Staatstheater tut es. Genauer: Die Tanzsparte an diesem Haus. Denn mit dem neuen Ensemble „MS-Schrittmacher“ (ehemals und teils noch in Berlin) scheint Intendant Reiner Mennicken ausblenden zu wollen, dass es so etwas wie Irina Pauls in Oldenburg überhaupt gab. Der Stil des Ensembles knüpft eher bei der Sprache der früheren langjährigen Ballettdirektorin Ingrid Collet an, und selbst ihr muss man mehr Wagemut und Stilwillen zugestehen, als bei der Oldenburger Tanzpremiere von „Romeo und Julia“ jetzt zu entdecken war.

Über zweieinhalb Stunden erstreckt sich das Shakespearesche Drama in sehr naturalistischer Aufmachung, ohne den Stoff also wenigstens vom Bühnenbild und den Kostümen her schon mal auf eine andere Ebene zu stellen. Nein, es muss roter Samt und goldenes Brokatimitatzeug sein, in dem die TänzerInnen hier über die Bühne zwirbeln; (Span-) Holztüren und Fenster bilden sehr aufgesetzt ein höfisches Ambiente nach.

Choreograph Martin Stiefermann lässt seine achtzehn Tänzerinnen und Tänzer zu Sergej Prokowjews „Romeo und Julia“ wenige wirklich eigene Bilder finden. Zu vieles in dieser Inszenierung basiert auf dem romantischen Handlungsballet des russischen Komponisten, das 1938 zur Welturaufführung kam. Furchtbar ärgerlich wird es, wenn die zum Teil wirklich ausdruckstarken Tänzer dazu genötigt werden, in einer Art Taubstummengebärdensprache zu kommunizieren, die an Stummfilm und Slapstick erinnert. Schauspielerische Emphase wird in diesem Durcheinander häufig zur komischen Grimasse. Außerdem wurde in Formation oft sehr unsauber und lustlos getanzt. Was auch überhaupt kein Wunder ist, denn in dieser Inszenierung kommt nur sehr wenig persönliches Bewegungsrepertoire zur Geltung, was im nachmodernen Tanz eine Selbstverständlichkeit sein sollte.

Wie dem auch sei, es gab auch sehr schöne Passagen. Da sind Romeo und sein Freund Mercutio, die – testosterongeplagt – miteinander balgen, ohne dem anderen weh zu tun. Furchtbar aufgekratzte junge Kater. Immer wieder zucken die Arme in Richtung ihres Geschlechtes; die sticht der Hafer. Da passt auch Slapstick. Und wenn Andreas Etter als Mercutio vollends am Bersten seiner Lenden ausflippt und sich spastisch in seine pralle Lebensfreude verwringt, hat das seine köstlichen Seiten.

Ganz wundervoll und bezaubernd sind die ersten zarten Anbändelungen zwischen Romeo und Julia getanzt. Matthias Markstein und Francesca Peniguel berühren einander tatsächlich in einer Anmut und Unschuld, wie nur Kinder sie haben. In dieser Vorsicht, die noch nichts vom sexuellen Verlangen kennt, und die Aura des anderen atmen lässt. Francesca Peniguel leuchtet in ihrer zarten Erscheinung geradezu durch diesen Tanzabend, denn sie ist in ihrer Rolle sehr präsent und hat außerdem das nötige schauspielerische Talent um ihrer Julia nicht mit unnötigem Pathos die Luft abzuschneiden. Das ist große Klasse!

Und da ist dann noch die Rolle der Amme, die von Mata Sakka-Rickis mit einer sehr eigenen Bewegungssprache ausgefüllt wird. Irgendwie implodiert diese Frau, nimmt das Geschehen auf, und drückt es mit sich um die Hüften wringenden Drehungen, beschwörend hilflosem Händekurbeln aus. Doch stets an sich selbst gerichtet, und auf Julia zu: Rückzug, Vorstoß.

Einzig in dieser Figur wurde wirklich eingelöst, was Tanz kann, nämlich jenseits von Sprache und Mimik Emotionen ausdrücken, Beziehungen verbildlichen und somit Geschichten erzählen, in der Integrität von Körper und Idee. Denn eine Geschichte ist im Tanz nie die Summe ihrer Einzelteile, sondern als ganzes in jedem tanzenden Körper präsent. Das fehlte hier den meisten auf der Bühne.

Und die Inszenierung als Ganzes hat dem sattsam bekannten Stoff keine neuen Wahrheiten abgeluchst, nichts wirklich emotional vertiefen können. Eben kein Paukenschlag, wie Menniken versprach.

Marijke Gerwin

Weitere Aufführungen von „Romeo und Julia“ sind jeweils um 19.30 Uhr am 11., 20. und 21. Oktober sowie am 01., 05., 07. und 30. November im Oldenburger Staatstheater. Kartenbestellungen und Informationen unter Telefon 0441-2225-111

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen