Mein Freund, der Terrorist: Barbie in Ledersandalen
China: Nationalisten in Peking stehen auf Bin Ladens Seite, weil er gegen Amerika ist. Die Regierung sieht das anders, aber so richtig wichtig ist ihr der Krieg nicht
PEKING taz ■ Im Freudentaumel über die erstmals erreichte Qualifikation ihrer Nationalmannschaft für die Fußball-WM verpassten gestern viele Chinesen die Nachricht von den US-Angriffen auf Afghanistan. Die führende Tageszeitung Youth Daily berichtete auf sechs Sonderseiten vom Fußball – und mit nur einer Titelmeldung vom Krieg.
Das trifft die Stimmung in China: Man empfindet sich als unbeteiligt, jedenfalls teilt man nicht die Terrorangst der USA. „80 Prozent der Chinesen freuen sich über den Erfolg Bin Ladens“, behauptet sogar der Nationalist und Internetautor Wang Xiaodong. Seine Erklärung: „Amerika wird in China nicht wegen seines Eintretens für Demokratie und Freiheit gehasst, sondern weil jeder weiß, dass die amerikanische Außenpolitik Millionen von Asiaten außerhalb der USA das Leben gekostet hat.“
Wang Xiaodong gehört zu dem Autorenkreis, der vor Jahren das im Westen viel beachtete Buch „Das China, das Nein sagen kann“ publizierte. Die Regierung in China setzte hingegen spontanen Sympathiekundgebungen für Bin Laden nach den New Yorker Anschlägen ein schnelles Ende. Gestern gab Staats- und Parteichef Jiang Zemin seine kaum verhüllte Zustimmung zu den US-Angriffen auf Afghanistan. Im Spitzengespräch mit Japans Premierminister Yunichiro Koizumi sagte Jiang, er sei „froh, dass seine Bedenken, bei der Anwendung von Gewalt keine Unschuldigen zu verletzen, in der Rede des amerikanischen Präsidenten [vom Sonntag, d. Red.] reflektiert wurden“.
Einer eher naiven Bin-Laden-Faszination begegnet man in Hongkong: Dort wirbt ein Spielzeugladen mit einer handgemachten Bin-Laden-Puppe in Barbie-Format. „Ich bin gegen Krieg und Terroristen, aber eine Bin-Laden-Puppe zu entwerfen hat mich gereizt. Die ganze Welt kennt schließlich den Mann“, erklärt Puppenmacher Echo Cheuk. Weil Leute in Afghanistan keine Plastikschuhe wie übliche Puppen tragen, legte er Wert darauf, seine Bin-Laden-Puppe mit echten Ledersandalen zu bestücken. Gemeinsam mit einer George-Bush-Puppe soll das Bin-Laden-Exemplar in die Massenfertigung gehen. „Dann haben wir das politische Drama als Puppenspiel“, verspricht der Hongkonger Spielwarenproduzent Vincent Ho. GEORG BLUME
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