: Hart wie Frau Berg
Monster? Schlampe? Gar eine misanthrope Fusion aus beidem? Eine Hymne auf Sibylle Berg anlässlich ihrer neuen „Herrengeschichten“
von EVA BEHRENDT
Kürzlich publizierte das Magazin der Süddeutschen Zeitung in einem „Männer-Spezial“ eine Fotostrecke, die den sieben wichtigsten Frauen im Leben eines Mannes Gesicht und Namen verlieh. Das hub sehr richtig an mit Catherine Deneuve (Mutter), hangelte sich über Charlotte Gainsburg (Schwester) und Liz Hurley (Ehefrau) und endete schmerzlich schön bei Nadja Auermann (Pflegerin). Unter der leider vergessenen Rubrik Göttin, Autorin oder Verstörfaktor vermisste man allerdings schmerzlich die Nummer acht und einen Namen: Sibylle Berg.
In den Neunzigern schrieb Sibylle Berg Kolumnen und Reisereportagen für das selige Zeit-Magazin und die Frauenzeitschrift Allegra. Viele dieser Texte fuhren ein wie unbekannte, seltsame Drogen: Depressiva eigentlich – Medikamente, die sich aus Angst vor Unverkäuflichkeit kein Pharmakonzern zu erfinden trauen würde. Man las Berg, wurde trotz heiterem Himmel schlechtest gelaunt und misstraute plötzlich den eigenen Gefühlen, selbst den heiligsten.
Es lag nicht allein am Hass, der immer mal wieder aus ihnen sprach – gegen dessen Injektion hätte man sich zur Not ja wehren können, wie etwa bei Billers „Hundert Zeilen Hass“ in der Tempo. Es lag auch nicht allein daran, dass Sibylle Berg in ihren Artikeln mit einer erschreckenden Mitleidlosigkeit auch über sich selbst schrieb. Klar, auch das Anekdoten erzählende, möglicherweise kritisch, vorzugsweise aber komisch herumbehauptende, durch Verweis auf die Subjektivität der vertretenen Ansichten abgeschirmte Kolumnen-Ich war natürlich längst erfunden, der niedlich lustige Hacke- und Heidenreich-Sound dröhnte in aller Ohren.
Sibylle Berg jedoch pflügte dieses Genre noch einmal um, indem sie es auf seine Spitzen trieb: Aus Eitelkeit wurde erbarmungsloser, allen Abgründen aufgeschlossener Exhibitionismus, aus den Nähkästchen-Plaudereien Fiktion, die sich immer auch als solche zu erkennen gab. Ein verwirrendes Distanz-Nähe-Paradox entstand, überwältigend und abstoßend zugleich. Das alles in einem sperrigen Ton, dessen Härte und Hybridität ins eigene Denken schnitt: äußerst knapp, meist unelegant auf Verben wie „sein“ und „haben“ beschränkt, durchsetzt von altmodisch tönenden grammatikalischen Einschüben. So schreibt sie immer noch.
Verlief schon in jedem Text eine die Autorin inszenierende Spur, so setzte sie sich außerhalb fort: Irgendwo am Rande der Texte war meist ein Foto untergebracht. Überraschung – da sah man einen zierlichen Mädchenschädel mit katzenhaften Zügen und fragte sich, wie dieses zarte Geschöpf es fertig bringt, die geistige Kalaschnikow derart kühn gegen sich selbst und andere zu richten. Sicher, es waren noch die Ausläufer der Girlie-Jahre damals, mit solchen Widersprüchen wurden gute Geschäfte gemacht. Dabei schoss das Berg-Bild über das postfeministische Kindfrau-Konzept hinaus. Während junge Frauen sich alle Mühe gaben, den männlichen Blick zu okkupieren, indem sie ihn zu ihrem eigenen machten, also Porno cool und damit coole Männer zu finden, reiste Sibylle Berg tatsächlich mutterseelenallein (vielleicht hatte sie aber auch eine nette Affäre mit dem Fotografen?) und wochenlang auf einem Frachter über die Ozeane, behauptete stur und ungerührt bis in die blödeste Modekolumne hinein, dass alles Tun und Trachten seine Ursache in der Einsamkeit habe – als Conditio humanae jenseits von Biologie und Diskursen. Und machte mit sich keine Ausnahme.
Später, als sie dieselbe Methode auf Romane und Theaterstücke mit programmatischen Titeln wie „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ oder „Sex II“ anwandte, spielte Sibylle Berg immer hintergründiger mit ihrer öffentlichen Selbstinszenierung, die dabei zunehmend zum Rückzugsgefecht zu werden schien. Ihre Barbara-Cartland-Nummer parallel zum Erscheinen von „Amerika“ wallte rötlich onduliert bis auf ihre Homepage, war ein widerlicher Koks- und Luxustraum in Schwarz und Gold. „Gold“: So hieß dann auch das nächste Buch, eine Anthologie der Bergschen Kolumnen und Artikel samt erboster LeserInnenzuschriften, die allesamt den erstaunlichen Beweis führen, dass Menschen sich von Literatur noch provozieren lassen.
Interessanter als die Inszenierungen an sich, die ja de facto kaum jemandem erspart bleibt, der auch nur ansatzweise ein Sozialleben führt, ist Bergs strikte Verweigerung jeglicher Anbiederung an ihr Publikum. Das Risiko, sich selbst ausgerechnet als moralinsaure Monster, über Leichen latschende Schlampen oder gar eine misanthrope Fusion aus beidem zu skizzieren, gehen gerade öffentliche Frauen äußerst selten ein – von den weltbekannten Ausnahmen Maggie, Merkel und Madonna einmal abgesehen. Aber gerade im Feuilleton und Literaturbetrieb bleiben solche Maßnahmen marginal: Selbst eine provokante Skandalnudel wie die britische Pop-Kolumnistin und Autorin Julie Burchill versucht in ihrer wütenden Autobiografie „Verdammt – ich hatte Recht!“, ihre Selbstverherrlichung sozial zu begründen – als habe die Herkunft aus der Arbeiterklasse ihr keine andere Wahl gelassen. Und Else Buschheuer, die karrieremäßig gleich auf mehreren Sektoren als TV-Moderatorin, Gagschreiberin („Ruf! Mich! An!“), Schriftstellerin („Masserberg“) und öffentlicher Praktikantin beim New Yorker Wochenblatt Aufbau operiert, versucht in ihrem Internet-Tagebuch nach jedem Absatz, der vermeintlich unpassend auf die Kacke haut, sich zu erklären. Frau Berg, wie sie sich jetzt selbst unter Aufbietung größtmöglicher Distanz nennt, würde sich wahrscheinlich eher erschießen.
„Sibylle Berg ist wieder da“, heißt es auf der Rückseite des schmalen Taschenbuchbändchens „Das Unerfreuliche zuerst“. „Als wäre sie nie fort gewesen. War sie auch nicht. Sie war nur in der Fremde: bei Männern.“ Berg nennt ihre exotischen Reisemitbringsel „Herrengeschichten“: Während just Nick Hornby, der Nachtkästchenautor von New Labour, einen Roman aus weiblicher Perspektive geschrieben hat („How to be good“), liefert sie die Gegenseite. Männer von Lanzarote bis Bangkok kommen zu Wort in Tagebuchaufzeichnungen und Bekennerschreiben, von einer scheinbar neutralen Erzählerdistanz erbarmungslos beobachtet oder in dramatische Miniaturen gepfercht.
Hingebungsvoll skizzieren die „Herrengeschichten“ den totalen Männerblick auf jene trostlose Landschaft, die in der Berg-Welt Leben heißt. Das gilt für den Fließbandarbeiter, der ohne Liebe aufwuchs, über sich nur als „man“ spricht und auf den Tod seiner Frau reagiert, indem er den Sessel ein Stück von der Leiche auf dem Teppichboden wegrückt und den Fernseher etwas lauter stellt. Oder für den schwulen Aussteiger, der in Kambodscha seinem Tadzio, einem bitterarmen Strichjungen, in den Slums von Phnom Penh hinterherläuft und verzweifelt feststellt, dass dieser ihn niemals lieben wird. Oder für das Kriegskind, Augenzeuge eines Massakers an der eigenen Familie, das sinnigerweise selbst Soldat wird und zu der traurigen Schlussfolgerung gelangt: „Keine Gefühle zu haben lässt sich schweigend am besten verwirklichen. So viel kann ich sagen.“ Es gilt aber auch für den heiter biologistisch argumentierenden Sexmaniac, der Frauen gerade heraus als „eine warme Bettflasche mit feuchten Öffnungen“ betrachtet. Und sogar für den netten jungen Mann im Regen, der der Frau seines Lebens begegnet und vor lauter Begeisterung über seine großen Gefühle gar nicht auf die Idee kommt, die Gute anzusprechen.
Der Mann als Täter ist im Grunde Opfer: des Testosterons, der Geschichte, des Kapitalismus, seines Milieus und der Träume, und als solches lässt Berg ihn sich auch darstellen, rechtfertigen, bemitleiden und anklagen, gerne auf den letzten Metern in die geistige und physische (Selbst-)Vernichtung.
Wer würde Sibylle Berg misstrauen wollen, was die Lauterkeit dieses fiktionalen Unternehmens betrifft? Hinter den „Herrengeschichten“ steckt mindestens eine soziologische-juristische Grundannahme (in dubio pro reo), womöglich ernsthafte Feldforschung im virilen Subkontinent. Wie immer wacht über ihnen eine höhere moralische Warte, deren letzter Wille verborgen bleibt – vielleicht nur der höhnische Wunsch, Michel Houellebecq mitfühlend die Hand auf die Schulter zu legen. Es ist die achte Hand, die auch in keinem Frauenleben fehlen sollte.
Sibylle Berg: „Das Unerfreuliche zuerst“. Herrengeschichten. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001, 168 Seiten, 17,90 DM (9,15 €)
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