piwik no script img

Militärische Ziele, zivile Opfer

„Wir wollen die Terroristen entwurzeln“, sagt der US-Verteidigungsminister. Vier UN-Mitarbeiter einer Minenräum-Organisation mussten dafür sterben

von ERIC CHAUVISTRÉ

„Um es zusammenzufassen, jedes Ziel war ein militärisches Ziel.“ Bei einer Pressekonferenz in der Nacht zum Dienstag konnte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld noch die Illusion aufrechterhalten, es gäbe die Möglichkeit eines gezielten Vorgehens gegen militärische Ziele in Afghanistan. Die Berichte, es habe Angriffe auf die Stadt Kabul selbst gegeben, wies das Pentagon zurück. Es seien lediglich militärische Stützpunkte am Rande der Hauptstadt angegriffen worden.

Schon am zweiten Tag des Krieges ist dieses naive Bild von militärischem Vorgehen zerstört. Das Büro der Vereinten Nationen in Islamabad bestätigte, dass Mitarbeiter eines von den UN finanzierten Projektes bei den US-Luftangriffen getötet worden sind. „Das Gebäude wurde zerstört. Vier Mitarbeiter wurden getötet“, sagte Stephanie Bunker, Sprecherin des Koordinators für Humanitäre Angelegenheiten der Vereinten Nationen für Afghanistan. Die Berichte der Taliban-Regierung über mehr als zwanzig Tote mögen stimmen oder nicht, die Fernsehbilder zerstörter Wohnhäuser mögen tatsächliche Folgen zeigen oder Schäden aus irgendeinem Gefecht der letzten zwanzig Jahre. Mit dem Bericht des UN-Büros in Pakistan liegen nun erstmals Angaben über Schäden aus einer als unabhängig geltenden Quelle vor.

Die Opfer hatten nach UN-Angaben für die „Afghanistan Technical Consultants“ in einem Gebäude drei Kilometer vom Zentrum Kabuls entfernt gearbeitet. Die Organisation ist eine der größten Nichtregierungsorganisationen, die im Auftrag der Vereinten Nationen die in Afghanistan verstreuten Minen aufspüren und unschädlich macht. Vier weitere Mitarbeiter der Organisation wurden nach Angaben der UN bei dem Angriff verletzt. Auch Fahrzeuge und andere Ausrüstungsgegenstände der Organisation wurden bei dem Luftangriff zerstört.

Angesichst dieser Opfer appellierte der UN-Koordinator für Afghanistan, Mike Sackett, an die „internationale Gemeinschaft“, sich ihrer Pflicht bewußt zu sein, unschuldige Zivilisten während der Luftangriffe zu schützen. Sackett verwies zudem darauf, dass die Zerstörung der afghanischen Infrastruktur auch die Versorgung der Bevölkerung gefährde. „Sie müssen dabei auch bedenken, Einrichtungen zu schützen, die wichtig für das Überleben der afghanischen Zivilisten sind,“ sagte Sackett. Das US-Verteidigungsministerium gab unterdessen eine erste Einschätzung der Angriffe. Rumsfeld sagte auf einer Pressekonferenz im Pentagon, es sei „generell mit den Ergebnissen zufrieden“. Es habe allerdings bislang nur eine vorläufige Schadenseinschätzung gegeben. Die Ziele in der ersten Phase der Luftangriffe seien „Frühwarnradars, Bodentruppen, Kommandoeinrichtungen sowie Landebahnen und Flugzeuge.“

Seinem obersten militärischen Angestellten überließ Rumsfeld die Antwort auf die schwierige Frage, was das US-Militär unternomen habe, um Ussama Bin Laden und seine Organisation zu treffen. Der Stabschef der US-Streitkräfte, General Richard Myers, konnte nur auf Angriffe auf die bekannten Trainingscamps verweisen. „Die Camps sind nicht völlig leer“, versicherte Myers einem Journalisten, der Zweifel an der Wirksamkeit solcher Angriffe geäußert hatte.

„Marschflugkörper und Bomber können dieses Problem nicht lösen. Wir wissen das“, sagte Rumsfeld. Was mit den Angriffen erreicht werden könne, sei verstärkter Druck; sie könnten das Leben der Terroristen schwieriger machen. „Unser spezielles Interesse ist klar, wir wollen die Terroristen entwurzeln, die in diesem Land sind.“ Allerdings, erläuterte er weiter, gäbe es keine bedeutenden Ziele der Taliban, die von der Luft aus getroffen werden könnten.

Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon sagte gestern der BBC, er gehe davon aus, dass die Luftangriffe auf Afghanistan nur einige Tage dauern würden. „Das ist die erste Phase unserer Angriffe auf das Taliban-Regime“, sagte Hoon.

Ein Bericht der Washington Post, weitere US-Bodentruppen würden derzeit nach Zentralasien verlegt, nährt unterdessen Gerüchte, dass auch eine Bodenoffensive nicht ausgeschlossen sei. Rumsfelds Äußerungen lassen allerdings eher darauf schließen, dass die US-Luftangriffe auf eine Stärkung der oppositionellen afghanischen Truppen abzielen.

Würden außer den möglicherweise schon in Afghanisatn operierenden kleinen Spezialeinheiten größere Verbände von Bodentruppen entsandt, müsste Rumsfeld auch sein Rhetorik ändern: Seit Beginn der Luftangriffe hat der Pentagon-Chef das Wort „Krieg“ nicht mehr benutzt. Die Angriffe seien lediglich eine „Ergänzung der politischen, finanziellen und humanistären Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen