: Bakterienalarm in Wedding
Möbelhaus wurde stundenlang abgesperrt. Mitarbeiter und Kunden saßen fest. Im Parkhaus war ein Drohbrief gefunden worden, der Biokampfstoff enthalten sollte. Keine endgültige Entwarnung
von RICHARD ROTHER
Auf den ersten Blick war von dem Großalarm wenig zu spüren, im Weddinger Möbelhaus Höffner ist am Nachmittag alles wieder normal: Kopftuch tragende Rentnerinnen begutachten Stoffballen, Verkäuferinnen klappern, Regale einräumend, mit Geschirr, und es riecht nach Popcorn. Dennoch ist die Stimmung angespannt, die Angestellten geben sich zugeknöpft. „Erst mal habe ich an gar nichts gedacht“, gesteht ein Verkäufer. „Man muss cool bleiben“, sagt er, sich die Stirn wischend.
Am Vormittag war es zu einem Großeinsatz der Polizei gekommen, nachdem im Parkhaus ein Briefumschlag mit der Aufschrift „Wenn Sie diesen Umschlag öffnen, wird sich ihr Leben ändern“, gefunden worden war. Die Drohung erinnerte an die vor dem Milzbrandausbruch in Florida aufgetauchten Schreiben. Kurz nach elf Uhr ging im Wedding gar nichts mehr. Vor dem Kaufhaus sperrte ein Großaufgebot der Polizei das Gebäude weiträumig ab, Fahrzeuge wurden umgeleitet. Gleichzeitig wurden die Türen geschlossen, rund 500 Kunden und knapp 200 Mitarbeiter saßen zwei Stunden lang fest. Die Feuerwehr schickte zwei Sonderfahrzeuge zum Kaufhaus und brachte das Drohschreiben, das weißes Pulver enthielt, zur Untersuchung ins Robert-Koch-Institut. Ein engültiges Ergebnis der Untersuchung lag bis zum Nachmittag nicht vor. Zunächst seien keine Hinweise auf gefährliche Erreger gefunden worden, so der Institutspräsident Reinhard Kurth.
Dennoch registrierten die Polizeikräfte die Personalien aller Kunden für den Fall, dass später eine medizinsche Behandlung erforderlich werden sollte. Außerdem erhielten die Kunden Merkblätter mit Verhaltensvorschriften bei auffälligen gesundheitlichen Störungen.
Die Bundesregierung beschloss gestern indes, im Robert-Koch-Institut eine Informationsstelle für biologische Kampfstoffe einzurichten. Diese soll einen Überblick über Vorsorge und mögliche Gefährdungen durch biologische Kampfstoffe erarbeiten. Nach den verheerenden Anschlägen in New York und den US-Gegenangriffen auf Afghanistan schließen Sicherheitsexperten nicht aus, dass fundamentalistische Terroristen Attentate mit biologischen Waffen planen könnten. Gestern gab das Taliban-Regime dem mutmaßlichen New-York-Attentäter Ussama Bin Laden offiziell freie Hand bei der Bekämpfung der USA.
Am späten Nachmittag konnte man im Weddinger Kaufhaus schon wieder lachen. „Sie können unser Zeug ruhig essen“, meint eine Kantinenmitarbeiterin schmunzelnd. Zwar habe auch sie Angst gehabt, aber das sei jetzt vorüber. Ein Haushandwerker beißt herzhaft in eine Bockwurst: „Wenn es einen erwischt, erwischt’s einen sowieso“, sagt der Mann mit sächsischem Akzent achselzuckend. Bei solchen Hirnrissigen könne man nicht viel machen. Ein blasser Verkäufer versucht, die richtigen Worte zu finden. Man müsse solche Vorfälle ernst nehmen, dürfe aber nicht in Panik verfallen. „Diese Terroristen wollen nur, dass wir unser Leben nicht in Ruhe weiterführen können.“ Er nimmt einen tiefen Schluck kalte Coca-Cola. „All right.“
siehe auch SEITE 7
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