: Die Hysterie kann heilsam sein
Ausgerechnet die USA waren bisher gegen eine schärfere Biowaffen-Kontrolle. Die neue Furcht vor Anschlägen mit solchen Waffen könnte das ändern
von ERIC CHAUVISTRÉ
„Ich kann keine Sprühflugzeuge mehr sehen“, kommentiert Jan van Aken, Geschäftsführer der deutsch-amerikanischen Organisation „Sunshine Project“, die Biowaffen-Hysterie, die nun auch Deutschland erreicht hat. Ein Anschlag mit begrenztem Ausmaß sei durchaus denkbar. „Szenarien mit 100.000 Toten muss man aber als Sciencefiction bezeichnen“, sagt der Zellbiologe. Selbst die USA haben nach van Akens Worten 20 Jahre an der komplizierten Technologie zur weiten Verteilung von Biokampfstoffen gearbeitet. Nichtstaatliche Organisationen seien nicht dazu fähig. Denn es gelte Aerosole herzustellen, bei denen exakt die Tröpfchengröße erreicht werden muss, die zur Aufnahme durch die menschliche Lunge nötig ist (siehe auch unterer Text).
Auch Oliver Meier, Projektleiter bei Vertic, einem Londoner Forschungsinstitut für die Kontrolle von Rüstungskontrollverträgen, hält Anschläge von „militärischen Dimensionen“ nur dann für möglich, wenn ein Staat die Entwicklung und Produktion unterstützt. Deshalb sieht er die Verbesserung der Biowaffen-Konvention als einzigen Weg, Terroranschläge mit derartigen Waffen zu verhindern. „Alles was zurzeit in den USA diskutiert wird, betrifft allein die Frage, wie mit Folgen eines Anschlags umgegangen werden kann.“ Internationale Verträge zur Kontrolle von Biowaffen würden zwar auch keinen hunderprozentigen Schutz bieten, aber es sei das einzig denkbare Mittel zur Prävention. Da alle Wege genutzt werden müssten, sei die Stärkung der Biowaffen-Konvention nötiger denn je. Auch van Aken sieht in der Stärkung der schon 1975 in Kraft getretenen Konvention die einzige Möglichkeit, Biowaffen-Attacken zu verhindern.
Ausgerechnet das Land, in dem jetzt die größte Angst vor einem Biowaffen-Anschlag umgeht, war bislang Hauptgegner einer Stärkung dieses von fast allen wichtigen Staaten unterzeichneten Vertrages: die USA. Erst vor wenigen Monaten haben sie es verhindert, den Vertrag zu verschärfen. Im Juli gab die US-Regierung bekannt, dass sie das in den letzten sechs Jahren im Konsens ausgehandelte Verifikationsprotokoll zur Regulierung von Verdachtskontrollen in den Unterzeichnerstaaten ablehnen. Begündet hat Washington den Schritt mit der mangelnden Schärfe der Bestimmungen – dabei war es gerade die US-Delegation, die in den langen Verhandlungen auf eine Einschränkung der Rechte der Inspektoren drängte – und damit den Vertrag verwässert hat. Auch das Argument, der Vertrag biete die Möglichkeit zur Industriespionage, weist van Aken als vorgeschoben zurück. Schließlich hätte sich auch die Industrie in Europa mit den Kontrollen abgefunden.
Im September deckte die New York Times auf, dass US-Geheimdienste mehrere Programme betrieben, die unter der Biowaffen-Konvention verboten sind. Damit wurden die tatsächlichen Gründe für die Ablehnung der USA klar. Unter anderem sind US-Regierungsstellen, den inzwischen bestätigten Berichten zufolge, damit beschäftigt, „Bomblets“ zur Verteilung der Kampfstoffe zu bauen – angeblich um Verteidigungsmaßnahmen zu entwickeln. Gelegenheit, die Blockadehaltung zu beenden, werden die USA schon in einigen Wochen haben: Dann beginnt eine Konferenz der Biowaffen-Vertragsstaaten, bei der die Verbesserung der Kontrollen im Vordergrund stehen wird.
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