: „Gegen Terror sind wir machtlos“
Klaus Traube, energiepolitischer Sprecher des BUND, über die Gefährdung von Atomanlagen und den mangelnden Realitätssinn der Verantwortlichen
Interview MATTHIAS URBACH
taz: Herr Traube, was hat sich an der Sicherheit der Atomkraftwerke seit dem 11. September und dem Beginn der Nato-Bombardements geändert?
Klaus Traube: Nur die öffentliche Wahrnehmung. Insider haben sich von Anfang an mit den Risiken eines Anschlages beschäftigt.
Aber so ein Terroranschlag wie in New York ist doch eine ganz neue Erfahrung.
Ja, aber von Anfang an war klar: Nicht nur technisches Versagen, auch Anschläge, Krieg und Sabotage gefährden die Sicherheit der Kernkraftwerke.
Was halten Sie von Umweltminister Trittins Vorschlag, bei konkreten Verdachtsmomenten des Innenministers Atommeiler vorsorglich abzuschalten?
Gab es etwa konkrete Hinweise auf das Attentat auf das World Trade Center? Trittins Ankündigung ist eine Verlegenheitsfloskel, die die Verantwortung dem Innenminister zuschiebt.
Würde ein Abschalten überhaupt mehr Sicherheit bringen?
Ja, aber nicht sofort. Die Gefahr einer Kernschmelze – dem sogenannten Super-GAU – nimmt mit der Zeit ab, ist aber erst nach einigen Wochen praktisch gebannt.
Welche Konsequenzen hätte ein Super-GAU in einem deutschen Atomkraftwerk?
In Tschernobyl wurde ein Radius von 30 Kilometer um den Reaktor kurzfristig geräumt – das betraf rund 100.000 Bewohner. In einem solchen Umkreis müssten im viel dichter besiedelten Deutschland bis zu zwei Millionen Menschen sofort evakuiert werden. Es käme zu einer entsetzlichen Panik. Und an den Spätfolgen der radioaktiven Verseuchung würden Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende sterben.
Wieso wurden Terroranschläge anders als technisches Versagen bislang nicht öffentlich debattiert?
Sabotage, Krieg oder Terror wurden bislang nur in den Sicherheitsgremien unter Insidern behandelt. Dort hat man entschieden, es nicht öffentlich zu machen, um den Terroristen keinen Fingerzeig zu geben. Das war natürlich eine bequeme Ausrede.
Inwiefern bequem?
Hätte man das öffentlich diskutiert, wäre herausgekommen, dass gegen Terrorismus – nicht nur gegen den selbstmörderischen von New York – kein Kraut gewachsen ist. Außerdem wäre klar geworden, dass das Risiko durch Anschläge, Krieg oder Sabotage kein völlig unwahrscheinliches Restrisiko ist.
Sie gehörten selbst zum Kreis der Insider: Bis Anfang der 70er waren sie verantwortlich für den Reaktorbereich der AEG, der später in Siemens aufgegangen ist. Später in der Interatom trugen Sie Verantwortung für den Bau des Schnellen Brüters. Wie hat man intern vorgesorgt?
Natürlich hat man einiges getan: Beispielsweise wurde das Personal nachrichtendienstlich überwacht. Und es wurden Vorkehrungen getroffen, dass man keinen Tanklastzug auf das Gelände fahren und wichtige Anlagen zerstören kann. Aber es war auch immer klar, dass es keinen absoluten Schutz gibt.
Welche Szenarien spielte man damals durch?
Die wichtigsten Szenarien waren Angriffe auf das Reaktorgebäude mit panzerbrechenden Waffen oder die Infiltration von Terroristen in das Betriebspersonal. Es war immer klar, dass dies die Achillesferse der Atomkraft ist.
Haben die Behörden diese Gefahr ernst genommen?
Allerdings. Ich geriet 1976 als Interatom-Chef in den Verdacht, Terroristen den Zugang zu einem Atomkraftwerk zu verschaffen. Ich wurde monatelang beschattet. Obendrein brach man – mit Zustimmung des damaligen FDP-Innenministers Maihofer – in meine Wohnung ein und installierte eine Wanze. Das war ein klarer Verfassungsbruch. Offenbar glaubte der Verfassungsschutz nicht an ein vernachlässigbares Restrisiko der Kernkraft.
Wie könnte ein terroristischer Angriff aussehen?
Ein Mitarbeiter mit terroristischen Absichten könnte von der Warte – also der Kommandozentrale – aus eine Kernschmelze auslösen. Dann gibt es die Bedrohung von Außen: Mit einer Panzerfaust oder einer Sprenghaftladung. Damit könnten sie das Reaktorgebäude selbst beschädigen, aber auch sonstige notwendige Anlagenteile außerhalb des Reaktorgebäudes. Schließlich sind nicht alle wichtigen Systeme im Reaktorgebäude geschützt. Wichtige Kühlleitungen für das Notkühlsystem etwa befinden sich auch außerhalb des Reaktorgebäudes.
Man muss also gar nicht das Hauptgebäude zerstören, um eine Kernschmelze auszulösen?
Das stimmt. Man kann aber auch die Reaktorhülle selbst zerstören. Panzerbrechenden Waffen hält auch die nicht stand. Das muss aber nicht zwingend zu einer Kernschmelze führen. Allerdings könnten ja zuvor einige Hilfssysteme sabotiert worden sein: Das muss man ja nicht sofort bemerken – siehe den aktuellen Fall im AKW Philipsburg.
Wie sieht es nun bei einem Angriff mit einem Flugzeug aus? An Flugzeugabstürze hatte man ja beim Bau gedacht.
Ja, aber nur an den einer verhältnismäßig leichten Militärmaschine. Man dachte an Starfighter, die seinerzeit haufenweise abstürzten. Außerdem war bekannt, dass Militärpiloten gerne markante Bauwerke wie so ein Atom-Ei als Anflugziel nutzten – obwohl das verboten war.
Was passiert beim Absturz eines vollgetankten Passagierjets?
Keiner hat das World Trade Center-Szenario durchgespielt. Es liegt aber auf der Hand, dass die Hülle durchschlagen wird. Es ist auch klar, dass ein Kerosinbrand eine so zerstörerische Wirkung hätte, dass es an ein Wunder grenzte, wenn die Kühlsysteme für den Reaktorkern intakt blieben.
Wie hoch ist das Risiko durch Kriege?
Durch Zufall ist es so, das in den großen Spannungsgebieten, in denen zuletzt entsetzliche Bürgerkriege herrschten, also Tschetschenien, Uganda, Kosovo, kein Kernkraftwerk existierte. Im ehemaligen Jugoslawien gibt es nur ein einziges Kernkraftwerk und zwar in Slowenien. Diese Teilrepublik hatte sich als erstes von Belgrad gelöst. Der bewaffnete Konflikt dauerte zum Glück nur zehn Tage. In dieser Zeit flog die jugoslawische Luftwaffe allerdings ständig Scheinangriffe auf das Kernkraftwerk und drohte mit seiner Zerstörung. Zum Glück machte sie das nicht wahr.
Die Fixierung auf technisches Versagen läuft also faktisch auf ein Herunterspielen der Gefahren hinaus?
Allerdings. Es gibt übrigens noch eine weitere Kategorie: Dass nämlich menschliches Fehlverhalten eine Katastrophe auslöst, ohne dass das gewollt ist. Immer wieder werden aus Nachlässigkeit ganz klare Sicherheitsvorschriften missachtet. In Philipsburg hatten wir gerade den Fall, dass wochenlang nicht bemerkt wurde, dass drei von vier Behältern mit einer Bor-Lösung, die für die Notabschaltung des Reaktors gebraucht wird, nicht ausreichend gefüllt waren.
Der Reaktor wurde quasi ohne Feuerlöscher betrieben.
Ja. Es gibt zahllose Beispiele dieser Art. In Brunsbüttel etwa löste das Sicherheitssystem in der Anfangsphase ständig ungewollt Schnellabschaltungen aus. Statt den Fehler zu beheben, überbrückte das Personal einfach das Sicherheitssystem mit einem Schraubenzieher.
Wie ist das möglich?
Man muss sich in die Lage des Personals versetzen. Die sitzen da auf ihrer Warte Jahr um Jahr – und nichts passiert. Der Reaktor verhält sich gutmütig. Dann geht ihnen natürlich das Gefühl für die Brisanz ihrer Tätigkeit verloren. Diese Art von Nachlässigkeit geht natürlich auch nicht in die Sicherheitsanalysen ein, wo dann solche Zahlen herauspurzeln wie dass pro Kernkraftwerk nur ein Unfall in einer Million Jahren passieren kann. Faktisch sind das Beruhigungspillen für die Öffentlichkeit.
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