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Die Politik nach den Bomben

Die Bundesregierung in Berlin arbeitet an Plänen für ein Afghanistan nach der Herrschaft der Taliban. Die UNO soll eine Hauptrolle spielen

von SVEN HANSEN

In westlichen Regierungen haben die Planungen für die politische Zukunft Afghanistans schon vor den Bombardierungen begonnen, obwohl niemand weiß, wie lange der Krieg dauern und mit welchem Ergebnis er enden wird. Doch alle bekannten Szenarien gehen von einem künftigen Afghanistan ohne die Taliban aus. Dabei sei deren Sturz nicht das erklärte Ziel des Kampfes gegen den Terrorismus, sondern könne nur dessen Nebeneffekt sein, wie Außenamtsstaatssekretär Gunter Pleuger noch am Montag vor der Bundespressekonferenz betonte.

Die Bundesregierung geht in ihrem am Freitag in Brüssel erstmals vorgelegten internen Positionspapier jedoch ebenso vom Sturz der Taliban aus wie ein französischer Vorschlag (siehe taz vom 5. 10.). In dem der taz vorliegenden deutschen Papier „Elemente einer politischen Strategie für ein freies Afghanistan“ wird jedoch nicht erwähnt, wie die Taliban von der Macht vertrieben werden sollen.

Auf Nachfrage erklärte ein Außenamtssprecher, es sei nicht Sache Berlins, sich darüber Gedanken zu machen, da Deutschland nicht den Militärschlag führe. Vielmehr wolle man sich um den Wiederaufbau kümmern. In diesem Jahr hat Deutschland den Vorsitz der „Afghanistan Support Group“, in der 15 Geberländer, die EU-Kommission, die UN-Hilfswerke und das internationale Rote Kreuz vertreten sind.

Das deutsche Papier, der französische und ein britischer Vorschlag wurden am Montag von den EU-Außenministern in Luxemburg diskutiert. Jetzt soll die belgische EU-Präsidentschaft daraus ein gemeinsames Papier verfassen, das wohl bei der Ratssitzung am 17. Oktober verabschiedet wird. Laut Auswärtigem Amt entwirft die Bundesregierung zudem eine Afghanistan-Resolution, die von der UNO-Vollversammlung im Dezember verabschiedet werden soll.

Der französische Afghanistan-Plan sieht die Einrichtung einer Kontaktgruppe aus Vertretern des UN-Sicherheitsrats, Afghanistans Nachbarstaaten und EU vor und erwähnt explizit das Problem des Drogenanbaus. Demgegenüber betont der deutsche Vorschlag die Notwendigkeit einer baldigen „Erklärung an das Volk Afghanistans“. Darin soll betont werden, dass sich die Bombardierungen nicht gegen die Bevölkerung oder den Islam richten, sondern gegen den von afghanischem Boden ausgehenden Terror. Auch verpflichte sich die EU zu humanitärer Hilfe und Wiederaufbau. Damit sollen die „nichtextremistischen Kräfte im Land“ unterstützt und „Druck auf Ussama Bin Laden und seine Anhänger“ ausgeübt werden.

Die Bundesregierung räumt der UNO eine zentrale Rolle ein. Sie soll durch den Sondergesandten Francisco Vendrell in Konsultationen „mit dem früheren König, der Nordallianz, Afghanen im Exil und anderen Kräften“ treten. Ziel sei ein politischer Prozess, der in der Einberufung einer Ratsversammlung aller afghanischen Stämme und deren Autorisierung durch den in Rom lebenden Exkönig mündet.

Später sollen „angemessene UN-Strukturen vor Ort mit bedeutender Beteiligung islamischer Länder“ eine Übergangsregierung begleiten. Offen bleibt, ob das die Entsendung von Blauhelmtruppen oder gar ein UNO-Protektorat wie zum Beispiel in Osttimor bedeutet. Dafür wird die Einbeziehung Russlands, Irans und Pakistans in den Prozess betont. „Vor allem Islamabad muss davon überzeugt werden, dass seine vitalen Interessen unter einer neuen afghanischen Regierung garantiert sind“, heißt es. Außenminister Joschka Fischer sagte am Montag in Luxemburg, dass eine politische Lösung für Afghanistan „von innen“ kommen und von der Bevölkerung getragen werde müsse. Die Paschtunen als größte Bevölkerungsgruppe müssten an einer Lösung beteiligt sein.

Unklar ist, wieweit europäische Planungen von der USA berücksichtigt werden. Laut Auswärtigem Amt finde mit Washington ein regelmäßiger Austausch statt, doch gehe es zunächst um die Formulierung einer europäischen Position.

Zurzeit verstärkt die Bundesregierung ihre Beratungen. Außenamtsstaatssekretär Jürgen Chrobog war bis gestern in Islamabad, wo er mit Militärmachthaber Pervez Muscharraf zusammentraf. Details wurden nicht genannt – auch aus Rücksicht auf die Regierung in Delhi, wo Chrobog heute erwartet wird. Von der taz befragte Experten reagierten unterschiedlich auf die Pläne der Bundesregierung. Rangin Dadfar Spanta, der Sprecher des Exilbündnisses „Allianz der Demokratie für Afghanistan“, lobte die für die UNO vorgesehene wichtige Rolle, doch sei diese noch zu schwach formuliert. „Die UNO sollte den Prozess nicht begleiten, sondern bestimmen.“ Spanta befürchtet, dass sonst die diskreditierte Nordallianz die Macht an sich reißen könnte. Der Vorschlag einer Loya Jirga sei auch nicht neu, sondern bereits früher an den Taliban und Pakistan gescheitert. Er beklagte, dass die von ihm vertretenen Exilorganisationen nicht kontaktiert worden seien.

Auch Almut Wieland-Karimi von der Friedrich-Ebert-Stiftung kann sich eine Post-Taliban-Lösung nur als UNO-Protektorat vorstellen. Ihrer Meinung nach sollte schon jetzt die humanitäre Hilfe über die Kräfte kanalisiert werden, die künftig eine stärkere Rolle spielen sollten.

Ein „robustes Peace-Keeping-Mandat“ der UNO befürwortet Citha Maaß von der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Doch ein Mandat müsse sorgfältig ausgearbeitet und breit abgesichert werden, da sonst die Möglichkeit des Scheiterns groß sei. Sie hält die vagen Formulierungen des deutschen Plans deshalb für weise, weil es der Diplomatie Raum verschaffe und andere Kräfte nicht von vornherein verprelle.

Gerade die vagen Formulierungen kritisiert hingegen Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden: „Offen bleibt, wer die Oppositionskräfte sind, die man einbeziehen will. Ross und Reiter sollten in so einem Fall schon benannt werden.“ Hippler warnt davor, das „Fell des Bären zu verteilen, bevor er erlegt ist“. Er sieht momentan keine realistische Alternative zu den Taliban, vielmehr müsse es darum gehen, ein Übergreifen des Konflikts auf Pakistan zu verhindern. Glaube der Westen, er habe in Afghanistan eine Gestaltungsoption, mache er sich etwas vor. Bisher seien alle von außen kommenden Lösungen gescheitert.

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