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Wilde weiße Frau im Westen

■ Die Kammeroper „... gone West“ von Lou Simard und Ingo Ahmels hatte im Institut Français Premiere: Eine phantasievolle Nummernrevue aus Musikzitaten und gekonnt platzierten Effekten

„Kammeroper“ ist ja eigentlich ein Oxymoron, eine Zusammenstellung zweier sich widersprechender Worte, denn „Kammer“ ist immer intim und „Oper“ grandios. Aber dennoch passt diese verwegene Bezeichnung für das, was der DACAPO-Mann Ingo Ahmels da zusammen mit der kanadischen Sängerin, Performerin und Produzentin Lou Simard im „Zimmertheater“ (noch so ein Wort) des Institut Francais auf die kleine Bühne vor gerade mal 60 Sitzplätzen gebracht hat. Ob die beiden zusammen mit der Regisseurin Marie-France Goulet nun die Autoren des Musikwerkes „Gone West“ sind, ist allerdings kaum eindeutig zu beantworten. Denn sie suchten sich ihre Musiken (zwischen Elvis und Charles Ives), Stile, Theatertricks und Textzitate überall zusammen, und wenn mal was selbst geschrieben war, war es heftigst bei amerikanischen Musikern abgekupfert. Aber schon Beethoven meinte ja: „Besser gut geklaut als schlecht komponiert“.

Die alternative Bezeichnung „musikalisch-theatralisches Panoptikum“ trifft da genauer, denn im Grunde ist es eine Nummernrevue, durch die uns Lou Simard da in Western-Lederkleidung 75 Minuten lang führt. Aufgereiht sind die einzelnen Teile entlang dem Leben oder besser, der Legende von Calamity Jane. Von dieser steht sicher gerade mal fest, dass sie im späten 19. Jahrhundert im amerikanischen Westen gelebt hat, ihre Lebensgeschichte veröffentlichte und diese zum amerikanischen Volksmythos der wilden weißen Frau im Wilden Westen wurde. „When the legend becomes the fact, print the legend!“ lautet der berühmte Schlusssatz von John Fords „Der Mann, der Libety Valance erschoss“, und genau so war es bei den (wohl doch eher erlogenen) Geschichten von Calamity Jane. Spätestens durch die Verkörperung durch Doris Day wurde Calamity Jane zur Westernheiligen. In Europa verewigte man sie in einigen Lucky Luke Comics.

Nun ist Lou Simard diese Jane, singt „I'm a lonesome Cowgirl“ und eigentlich ist das Ganze auch keine Kammer- sondern eine Pferdeoper. Denn die zweite Hauptrolle auf der Bühne spielt ein großer, ausgeschlachteter, hochkant stehender Konzertflügel, den Lou Simard auf einem (Fahrrad)-Sattel reitet. Darin eingebaut ist eine Lochkartendrehorgel, die durch Pedale angetrieben wird. Eine wunderbar sinnfällige Konstruktion, die alleine schon den Abend rettet. Wenn man gerade erfahren hat, dass Jane wohl auch ein wenig verrückt war, und sie die Indianer deshalb schön in Ruhe ließen, dann stimmt Lou Simard dort oben auf dem Pferdeflügel „The fool on the hill“ von John Lennon an. Und Jane wiehert die Coda dazu. Es gibt viele solcher schöner Entsprechungen, bei denen Story, Musik und Bühneneffekt genau zueinander kommen. So wird etwa die Legendenbildung durch eine Vielzahl von Stimmen symbolisiert, die in sechskanäligen Hörspielsequenzen die Aussprüche von Jane wiederholen, variieren, verändern. Zu diesem Effekt hat sich Ahmels eindeutig von Steve Reich und seinem Stimmwerk „Different Trains“ inspirieren lassen (freundlich ausgedrückt), aber er ist in der Tat sehr schön und eindrucksvoll, genauso wie die gesampelten Jazzpianoläufe, die mit einem gespenstischen Nachhall durch den Raum schweben.

Ein paar Tricks reiten die Opernmacher allerdings auch (in bester Westernmanier) tot. So ist es zwar überraschend und perfekt inszeniert, wenn in der Oper plötzlich ein (selbst gedrehter und zerkratzter) Stummfilm auf einer kleinen Leinwand flimmert und Jane dazu die Geräusche fabriziert. Aber nach zwanzig Minuten gibt es noch einen ganz ähnlichen Film, und dann noch einen und noch einen! Schade, denn die Wiederholungen erzeugen Redundanzen und man bekommt das Gefühl, dass den sonst so einfallsreichen Machern irgendwann dann doch die guten Ideen ausgegangen sind. Originell und stimmig ist dafür aber wieder das Finale, bei dem Lou Simard die alte, verhärmte, fast erblindete Jane zeigt, die für ein paar Outlaws das Essen kocht, so dass ihre größte Kalamität letztlich darin besteht, am Schluß doch die traditionelle Frauenrolle spielen zu müssen. Ihr Klagelied wird durch das langsame Knarren einer Kaffeemühle und das Klingen vom Küchengeschirr begleitet. Ihr Lieblingspferd ist längst an Altersschwäche gestorben – so traurig kann der Westen sein. Aber zum Glück hat sie nicht auf offener Bühne das Drehorgelpianopferd erschossen.

Wilfried Hippen

Die nächsten Vorführungen: heute und Samstag, sowie am 19., 20., und 23. Oktober sowie im November und Dezember jeweils um 20 Uhr im Institut Francais, Contrescarpe 19. Karten unter Tel.: (0421) 365 33 33

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