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Kamera immer bereit

Seit Juni haben die Dokumentarfilmer Rena und Thomas Giefer die Kandidaten Gysi, Wowereit und Steffel auf Schritt und Tritt verfolgt. Sie zeigen eine ethnologische Studie über Berlin im Wahlkampf

Was wie eine Provinzposse begann, klingt als nationales Drama aus, sagt Rena

von VIRGINIE HERZ

„Ich frage mal, ob wir noch ein ruhigeres Interview mit Gysi im Auto machen können“, flüstert die zierliche, blonde Tonfrau ins Ohr ihres Kameramanns. Doch nach der Vorstellung seines letzten Werbefotos vor der S-Bahn-Station Mahlsdorf hat der Berliner PDS-Spitzenkanditat keine Zeit mehr. Kein Grund zur Aufregung. Rena und Thomas Giefer können darauf verzichten. Sie haben schon 60 Stunden gedreht und an diesem Tag noch mehrere Termine vor sich: Wowereit im Märkischen Viertel, Kohl am KaDeWe und am Abend Steffels Auftritt in einer Disco am Postdamer Platz.

Seit Anfang Juni begleitet das Ehepaar die drei Hauptdarsteller des Berliner Wahlkampfs. „Der Bürgermeister, der Entertainer, der Raumaustatter und seine Frau“, heißt die daraus entstandene Dokumentation, die der WDR am nächsten Montag sendet. In den 45 Minuten wird ein enger Dreikampf geschildert.

Nicht nur die Reden und Strategien der Spitzenkandidaten werden gegenüber gestellt, sondern auch die Plätze, die sie sich für ihre Auftritte ausgesucht haben, darunter manchmal so merkwürdige wie ein Bordell oder ein Ausflugsboot voller Rentner.

Wer hinter dem Lokalwahlkampf ein Hauch von Langeweile vermuten sollte, wird bald vom schnellen Rythmus der Szenen mitgenommen. Werbeagenten beim Aussuchen der Plakatfotos, Kommentare von Journalisten, immer wieder PR-Aktionen und die sich gleichlautend wiederholenden Slogans der Kandidaten bei Wahlkampf-Auftritten – die Filmemacher erzählen in ihrer Montage vor allem, wie die Politiker seit Juni versucht haben, ihr Image zu schärfen.

Dabei erweisen sich Gregor Gysi und Frank Steffel als die Hauptkontrahenten: „Mangelnde Bekannheit war nie Gysis Problem“, kommentiert Thomas Giefer, „um die Anerkennung als ernst zu nehmender Politiker muss er dafür um so härter kämpfen.“ Der CDU-Kandidat erscheint dagegen in der Rolle des jugendlichen Herausforderers. „Er musste sich zuerst vom Image des „pöbelnden Teppichverkäufers befreien“, erklärt der Filmemacher. Ein Werbefeldzug nach amerikanischem Muster sollte den Nobody aus Reinickendorf innerhalb weniger Wochen zum Kennedy von der Spree mit einer standesgemäßen First Lady stilisieren.

Wowereits Coming-out, Gysis umstrittener Auftritt am 13. August beim Mauergedenktag oder Steffels Reaktion auf die „Mongo“-Zitate: die„Highlights“ des Berliner Wahlkampfs sind noch einmal zu sehen. Und zwar nicht chronologisch. „Da unser Film vor dem Ergebnis der Wahlen gesendet wird, kann er keine klassische Chronik sein, die sich zu diesem politischen Ausgang zuspitzt“, bemerken Thomas und Rena Giefer beim Anschauen ihrer vorläufigen Montage bei sich zu Hause. Auch das Ende steht noch nicht fest und muss noch gefilmt werden. Die Giefers haben ein Zimmer zum vollständigen Studio ausgebaut:Kameras und Mikros liegen bereit, geschnitten werden kann jederzeit.

„Für solche langatmigen Projekte muss man flexibel und unabhängig sein“, betont Thomas Giefer. Dass Arbeits- und Privatsphäre sich überlappen, habe „Vor- und Nachteile“. Eine ebenso behutsame Antwort gibt der Filmemacher über die Zusammenarbeit mit seiner Frau. Halb lachend, halb ernst fügt sie zu: „Allmählich beherrscht Thomas technisch viel mehr und macht vieles auch lieber selbst. Er ist schneller. So kommt es schon öfters vor, dass während er schneidet, ich mich um die Wäsche kümmere.“ Aber nach mehr als 25 Jahren Ehe und etlichen gemeinsamen Dokumentarfilmen für das öffentlich-rechtliche Fernsehen scheint das nicht wirklich ein Thema zu sein. Beide haben ihre eigenen Projekte und Schwerpunkte: er den mittleren Osten, Mittelasien und Afrika (sein Film „Politischer Mord: Mord im Kolonialstil – Patrice Lumumba“ wurde dieses Jahr mit dem goldenen Grimme-Preis ausgezeichnet), sie Holocaust, Lateinamerika und Israel.

Ihre Auslandsaufenthalte haben den Filmemachern jetzt die nötige Distanz zum Berliner Wahlkampf verschafft, vor allem ironische: „Wir haben das wie eine ethnologische Studie behandelt“, meint Thomas Giefer. In Afrika zum Beispiel würde die Geschichte so lauten: „Zwei Stämme, die noch vor 10 Jahren getrennt lebten, unternehmen einen Häuptlingsritual“. Rena sagt: „Berlin ist zum Experimentierfeld für die Erneuerung der Parteienlandschaft geworden. Es hat wie eine provinzielle Posse begonnen und klingt als Drama von nationaler Bedeutung aus.“

Der Hintergrund dieses Rituals schien ihnen wichtig genug, ausnahmsweise einen Sommer in Deutschland zu verbringen. Sind sie mit dem Auto unterwegs, verfahren sie sich noch regelmäßig in Berlin. Als sie hier studierten, sah alles anders aus, sagen die Beiden. Wenn sie dann schließlich zum Termin kommen, sind schon die vier anderen Fernsehteams, die erst seit wenigen Tagen den Wahlkampf begleiten, vor Ort. Aber nach vier Monaten brauchen sie sich nicht mehr vorzustellen. Die Pressesprecher kommen gleich auf sie zu und bieten an, nach der offiziellen Veranstaltung, ein ruhigeres Interview zu organisieren.

WDR, 15. Oktober, 22.30 Uhr

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