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geheimamerika dehnt sich aus

aus New York KATHRIN RÖGGLA

“wow, what was that?“ sagt der typ eine reihe hinter mir in die stille hinein. und klar ist, „nobody knows“, man sitzt einfach weiter im dunkeln, durch das nur noch die namen laufen, der abspann.

so schnell geht das aufstehen nicht, nur allmählich findet sich ein weg raus aus dem kino, in dem man eben „mulholland drive“, den neuen film von david lynch, gesehen hat. ein film, der sich in diese schwärze immer mehr hineinzuschrauben schien, bis er dort endgültig steckenblieb, ungefähr da, wo wir jetzt aber immer noch sitzen. es ist eben david-lynch-zeit in new york, jetzt, wo sich die blätter langsam zu verfärben beginnen, zeit für eine düstere vision, eine überbordende anti-dramatik, die ihre erzählstränge einfach in der luft stehen lässt und so das ganze ebenso mit bedeutung auflädt, wie es die hohe symbolische besetzung der bilder tut. es ist ja vor allem ein film, in dem sich niemand erinnert. man versucht es zwar ein wenig, aber der akt der erinnerung liegt so jenseits der möglichkeiten der figuren, dass diese versuche sich wie staffagen einer dramaturgie ausnehmen. das ist wohl das amerikanischste an dem film, versteht man amerika als das land der sich perpetuierenden ahistorik, der fortgesetzten ausblendung eines geschichtlichen blicks, also so, wie es sich in den letzten wochen wieder deutlich gezeigt hat.

draußen findet das gegenprogramm zum film statt, der seine räume nicht ordentlich getrennt hält und seine spannung nicht zuletzt daraus bezieht, dass traum, realität, projektion ineinander gehen. der krieg ist jedenfalls weit weg an jenem montag abend vor dem angelika- filmcenter, einem alternativkino an der houston street, in dem filme von david lynch, barbet schroeder oder stephen frears gezeigt werden. sicher, auch hier stolpern ein paar anthrax-typen herein, solche, die es wieder einmal erwischt hat und die partout ein gespräch über diesen reporter in florida und über die bedrohung durch milzbrandbakterien im allgemeinen führen müssen. wir kennen uns ja jetzt alle mit allen bakterienstämmen aus, sind „quite familiar“ mit dem biochemischem vokabular, haben eifrig militärischen wortschatz angenommen, können die namen von flugzeugträgern, von waffentypen aufsagen. und zwischendurch schneiden wir in diesen vokabelschatz wieder unsere pathogenen gesichter hinein: abklopfen den eigenen körper nach husten, jucken, übelkeit! nichts gefunden? kann ja gar nicht sein! zumindest nach all dem zeug, das man einatmen musste und immer noch muss, denn es stinkt ja noch nach verbranntem plastik. der süßliche geruch, der als kopfschmerz in unsere wahrnehmung einzieht und unangenehme assoziationen freisetzt, bestimmt immer noch den luftraum weit über greenwich village hinaus, ebenso wie der emergency-lärm der feuerwehren. die schwelbrände werden uns wohl noch eine ganze weile begleiten.

aber zumindest wissen wir jetzt, was zu tun ist: „our patriotic duty, which is doing normal things, that you would be doing anyway“, so der democratic leader im abgeordnetenhaus kurz nach beginn des bombardements im sonntäglichen fernsehen. im sinn hatte er wahrscheinlich shopping and working, und, da man hier sehr familienfreundlich ist, „hugging your kids“. als nicht-amerikanerin bin ich von dieser pflicht wohl entbunden. und so machte ich mich zu dingen auf, die ich normalerweise nicht machen würde, doch auch die sind mir nicht wirklich gelungen. jedenfalls habe ich die columbus-day- parade nicht gefunden, aber so richtig kann ich es auch nicht versucht haben, schließlich sollte sie in der 5th avenue sein, also praktisch nicht zu verfehlen. doch es fing ja schon damit an, dass mich niemand dahin begleiten wollte. logisch, kein vernünftiger mensch geht da hin, nicht einmal die columbia university wollte den kolonialismus feiern und ihren angestellten an diesem feiertag freigeben. letztlich muss ich mich jedenfalls in die falsche richtung bewegt haben, denn gelandet bin ich eindeutig weniger in der 5th avenue als vielmehr im east village, wo ich wenigstens entdecken darf, dass auch andere etwas verpasst haben.

hingegangen wäre sie ja schon gerne, sagt nämlich gerade die frau vor mir. es ist die tageszeit, in der die handy-frauen auftauchen, diese somnambulen gestalten, die, von der arbeit kommend, mit ihren handies schon auf dem weg privatsphären aufbauen und sie großzügig nach links und rechts verteilen. eben beispielsweise sagen, dass sie zu gerne am sonntag da hingegangen wäre, aber es sähe so aus, als wolle ihr körper einfach nicht vor drei uhr nachts schlafen. und dann wolle er wiederum nicht wieder aufwachen, nicht jedenfalls zeitgerecht für die friedensdemonstration. sie lacht ein wenig, sagt dann: „you know, urging peace.“ stockt dann, beginnt wieder: „peace, no more – like a peace – only a peace-march, you know. . .“ ihr gesprächspartner scheint aber nur bahnhof zu verstehen, der kennt das wohl nicht, was die ganze stadt auswendig weiß: na die friedensbekundungen, zu denen man jetzt zu gehen hat! zumindest die jungen menschen, die es sich leisten können, im east village zu wohnen. sie machen es: pauschales “gathering for peace“. ihr gesprächspartner versteht anscheinend noch immer nicht, aber vielleicht gibt es den auch gar nicht und sie versucht sich nur selber zu erklären, was damit eigentlich gemeint sein könnte.

es hat auch etwas absurdes, wenn man die gitarrengespenster am union square sieht mit ihren rot gewordenen gesichtern, friedenslieder abspulend, einzeln und in gruppen auf und vor parkbänken. college boys, ihrer haut noch nicht entwachsen. noch tief drinsteckend, wo auch ein stück iowa und idaho ist - “ursprünglich illinois“, so mary aus einer gruppe befreundeter studenten, die sich aktiv gegen den krieg engagieren. auf die frage nach ihren strategien sagt sie, sie schreibe briefe an einen bestimmten congressman und an den editor ihrer heimatzeitung. aber der habe das nicht veröffentlicht. „illinois“, erklärt sie, „is pretty conservative.“ und fügt dann hinzu: „you know illinois, that’s corn and suburbia.“ es folgt eine pause, lang genug, um einen merken zu lassen, dass das schon das ganze heimatgedicht ist, und so lenke ich ab: ob das hier viele machen, briefe an abgeordnete schreiben? zu wenig, meint sie leise, weitaus zu wenig.

matthew smith wirkt daneben schon zuversichtlicher. schließlich schreibt er nicht umsonst für das kommunistische magazin unity&struggle, das er mir mit einem strahlen in die hand drückt. es sei von amiri baraka gegründet, “author and aktivist“, fügt er hinzu und tippt auf ein foto, auf dem ein cirka 40-jähriger afroamerikanischer mann mit einem mikro in der einen hand zu sehen ist, mit der anderen vollführt er eine klassische geste der agitation. matthew zögert plötzlich einen augenblick und sagt dann „actually, this is ras, his son, he is also writing for this magazine. amiri is the other picture.“ und tippt auf das foto darunter, wo ein älterer herr zu sehen ist, ebenfalls mit mikro, aber mit etwas pädagogischerer geste. verwirrt über diese familienverhältnisse im politischen kampf so ganz jenseits eines generation-gap nehme ich bereitwillig sein positives statement entgegen über die linke arbeit, die jetzt eben getan werden muss genauso wie zu anderen zeiten, und ein zweites strahlen. aber das war eigentlich einen peace-march früher. jetzt ist matthew verschwunden, und verschwunden sind am union square auch die ganzen schilder, „our grief is not a cry for war!“, und verschwunden bin auch ich aus diesem unsichtbaren amerikanischen kriegsalltag.

denn meanwhile am telefon, deutschland: innere sicherheit, innere sicherheit, innere sicherheit, erzählt silvia bovenschen.

– alle möglichen sinnvollen und nicht sinnvollen sachen werden jetzt durchgezogen in einem affentempo.

– wickert soll entlassen werden.

– und dass wir tschetschenien anders denken müssen.

– und wer einen historischen blick auf die lage wirft, steht schon auf der falschen seite.

– es geht jetzt alles hoppladihopp. das ist das erschreckende.

– man weiß gar nicht, ob das verfassungsrechtlich in ordnung ist.

– und wieder sieht man schröder mit fischer vor der kamera stehen: das können wir nicht sagen. das ist geheim.

– schily sagt auch, das ist geheim.

– und scharping macht so einen eindruck.

da dachte man, geheimamerika ist nur geheimamerika vorbehalten, und jetzt dehnt es sich also auch auf deutschland aus. jetzt macht man sich in der eu wohl nicht mehr lustig über die deutschen, die sich dauernd angeboten haben zum krieg und die nicht gewollt wurden? zumindest ist „germany“ jetzt deutlicher in reden enthalten, und zwar neben vokabeln wie „atrocity“. ja, “atrocity“ gehört in diesen tagen entschieden tony blair, und er meint damit die grausamkeiten, gräueltaten der terroristen. weitere worte, die er alleine zur verfügung zu haben scheint, sind „threaten“ und „indeed“.

das wort „germany“ steht aber mehreren zur verfügung. mit ihm bezeichnet man wohl einen bündnispartner, dessen militärische hilfsbereitschaft man schon auf die eine oder andere weise brauchen könnte, so ganz genau weiß man es noch nicht, und so ganz genau verstehe ich es auch nicht. habe aber meinen vokabelbetrieb diesbezüglich nicht mehr aufgenommen, denn auch für verständnisschwierigkeiten kann man sich angenehmere orte suchen im augenblick als die fernsehreden von politikern, zum beispiel den seminarraum 405 der new york university.

dort steht plötzlich, wie ein deus ex machina, der vortragende. ja, der überraschend klein wirkende mann hat sich mit bedeutung aufgeladen, zweifelsohne. und so glaube ich es eine ganze weile nicht, dass ich fünf meter von derrida entfernt sitze in dem ebenfalls etwas zu klein wirkenden seminarraum, in dem gerade mal 60 studenten platz haben. mehr sind es auch nicht. ist er etwa aus der mode? das kann doch gar nicht sein! jedenfalls glaube ich nicht, dass er wirklich der ist, der da sprechen soll. doch nach drei stunden vorlesung ahnt man dann schon, dass man doch so einen derrida vor sich gehabt hat. ich verstehe relativ gar nichts von dem, was er sagt. “das englisch mit diesem akzent. und dann das gemurmle. ja, er murmelt manchmal richtig“, beruhigt mich prof. cohin, der mich hierher mitgenommen hat, obwohl ich doch glaube, es liegt nicht direkt daran. ich weiß nicht, warum ich gedacht habe, dass derrida irgendetwas sagen würde zum krieg. ich wusste ja gar nicht, was er machen würde, es hieß nur: “derrida spricht.“ dass er eine ganz normale vorlesung hält zum begriff der “forgiveness“ und über die shoah, den „kaufmann von venedig“ und den begriff der gnade, erscheint mir komisch. dass draußen die sonne scheint, erscheint mir komisch, und dass dienstag ist, und dass man jetzt stolz ist, rund um die uhr afghanistan bombardieren zu können. das ist alles so separat. nur dass derrida sich anfangs für sein schlechtes englisch entschuldigt und sagt, er sei eben ein „poor tourist“, scheint zumindest für einen augenblick zwei räume ineinanderzubringen, eine freundliche geste, die sofort alle studenten entzückt. und dann kann es auch schon immer im kreis um begriffe gehen, wie es sich ziehmt.

im kreis, zumindest rund um den block, fährt später auch ein auto, das die gegend seit einiger zeit mit frank sinatras „new york, new york“ beschallt. die tennisspieler am dach des nyu-gym, das ich von meinem schreibtisch aus überblicken kann, haben kurz applaudiert und spielen jetzt schon wieder weiter. solange sie spielen, sage ich mir, muss ich mir keine sorgen machen. muss ich mir sorgen machen? es ist doch alles wie immer: zahlreiche bälle liegen am spielfeld wie immer, sie spielen schlecht wie immer, und auf der straße kaufen menschen auch ein wie immer. nur im fernsehen läuft es beinahe etwas anders wie immer, denn der wahlkampf, zu dem auch das musikauto gehören mag, scheint sich etwas zuzuspitzen. mr. green und mr. ferrer konkurrieren nämlich um die demokratische kanditatur zum bürgermeister von new york, und nun lässt herr green, um endlich neben den kriegsereignissen ein wenig aufmerksamkeit zu bekommen, negative wahlwerbung im fernsehen ausstrahlen, worauf mr. ferrer wiederum mit einer anti-anti-wahlwerbung kontert, in der er entrüstet sagen lässt: „mr. green now has gone negative!“ doch das interesse der öffentlichkeit sei ungewöhnlich gering, schreibt die ny-times. man habe sich am sonntag abend lieber „teenage mutant ninja turtels“ angesehen als die fernsehdebatte, ergab die quote. und wieder das auto, immer im kreis mit seiner musik. nicht unbedingt akustischen terror ausübend, eher seltsam fragil wirkend in zeiten, in denen der städtische raum so irreal wirkt. eben nicht ganz da.

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