„Kofi Annan sollte entschiedener auftreten“

Phyllis Bennis, Direktorin beim Washingtoner Institut für Politikstudien, über Leistung und Optimierungspotenzial des UNO-Generalsekretärs

taz: Frau Bennis, ist der Friedensnobelpreis für die UNO und ihren Generalsekretär Kofi Annan angemessen?

Phyllis Bennis: Grundsätzlich ja. Allerdings gibt es bei jedem Preisträger in der Vergangenheit Punkte, wo man sich ein eindeutigeres und entschiedeneres Verhalten gewünscht hätte. Aber angesichts der starken Dominierung der UNO durch die USA seit Ende des Kalten Krieges und dem Golfkrieg gegen Irak ist es Kofi Annan besser gelungen, die einzige globale Organisation im Zentrum von mehr globalen Konflikten zu halten, als ich das erwartet hatte.

An welchen Stellen hätten Sie sich eine eindeutigere und entschiedenere Rolle der UNO gewünscht?

Fangen wir mit dem aktuellen Afghanistankonflikt an: Ich hätte mir gewünscht, dass die UNO unter der Führung des Generalsekretärs zu Beginn des Konflikts am 11. September ihre eigene zentrale Rolle betont hätte als diejenige Institution, die vorrangig zuständig ist für eine Reaktion auf die Terroranschläge in den USA. Aber da die Bush-Administration auf einer überwiegend militärischen Reaktion insistierte sowie auf ihrer unilateralen Kontrolle dieser Reaktion, überrascht es nicht, dass die UNO und Kofi Annan herausgehalten wurden. Es ist aber immer noch nicht zu spät für die UNO und ihren Generalsekretär, wieder eine aktivere Rolle zu spielen.

Der Friedensnobelpreis . . .

. . . bringt ja vielleicht den erforderlichen Schub. Auch der israelisch-palästinensische Konflikt erfordert zu seiner Lösung dringend ein weit stärkeres Engagement und eine zentrale Rolle der UNO. Es ist zu hoffen, dass der Generalsekretär sich dafür konsequenter und öffentlich wirksamer als bislang einsetzt. Drittens erwarte ich, dass Annan die ja von vielen humanitären UNO-Organisationen eindeutig belegten verheerenden Folgen der Sanktionen gegen den Irak stärker hervorhebt, gerade auch weil diese Sanktionen das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der UNO nicht nur in der arabischen Welt massiv untergraben.

Sie haben Kofi Annans UNO-Karriere auch schon vor seinem Amtsantritt als Generalsekretär 1996 beobachtet.

Als Annan noch Leiter der Peacekeeping-Abteilung in der New Yorker Zentrale war, hätte er im Frühjahr 1994 die Weigerung wichtiger Mächte im Sicherheitsrat, Truppen zur Verhinderung des Völkermords in Ruanda zu schicken, sehr viel deutlicher öffentlich machen müssen. Auch hätte Annan die Forderung lautstärker erheben müssen, dass der Rat seinen rhetorischen Selbstverpflichtungen zur Einrichtung von Schutzzonen in Bosnien auch die erforderlichen Taten folgen lässt.

Trotz all dieser Kritikpunkte genießt Kofi Annan große Popularität, die auch das Ansehen der Institution UNO bei weitem übersteigt. Woran liegt das?

Kofi Annan war der erste schwarzafrikanische Generalsekretär und der erste, der zu dieser Position innerhalb der UNO aufgestiegen ist. Anders als sein Vorgänger Boutros Ghali pflegt Annan einen sehr kooperativen, respektvollen Umgang mit seinen Kollegen. Seinem freundlich-verbindlichem Charme konnte sich kaum jemand entziehen – nicht einmal der reaktionäre, als UNO-Hasser bekannte Senator Jesse Helms.

Am 1. Januar beginnt Annans zweite Amtszeit. Danach ist eine Wiederwahl nicht mehr möglich. Was hindert den Generalsekretär, gestärkt durch den Nobelpreis, künftig eindeutiger und entschiedener aufzutreten?

Wenn Annan nur an seinem Platz in der Geschichte interessiert wäre, hätte er jetzt alle Freiheiten. Aber er muss um das Überleben der UNO als Institution besorgt sein. Insbesondere hat er auf das mächtigste Mitgliedsland, die USA, Rücksicht zu nehmen, die der UNO ja weiterhin über 2 Milliarden Dollar Pflichtbeiträge vorenthalten. Und Annan muss – jetzt vielleicht noch stärker als vor dem 11. September – die Wirkung seiner Worte und Aktionen auf die interne Debatte in den USA berücksichtigen.

INTERVIEW: ANDREAS ZUMACH