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Zauberin am Stock

Natascha Keller ist derzeit die brillanteste deutsche Hockeyspielerin. Mit dem BHC hat sie viele Titel erkämpft. Nur diese Saison klappte das nicht

von CLAUDIA KLATT

„Taschi, komm, wir brauchen noch eins!“, hallt der Ruf durchs Hockeystadion von Brisbane. Der Ball wird prompt zur deutschen Mittelstürmerin gepasst, die setzt zum Dribbling an, umkurvt einige Verteidigerinnen wie Fahnenstangen – kurze Zeit später zappelt der Ball dann wirklich im Netz. Ein Traumtor!

Beim anfeuernden Rufer handelte es sich nicht etwa um einen eingefleischten Hockeyfan, sondern um den damaligen Bundestrainer, Berti Rauth, höchstpersönlich. Tore auf Bestellung? Auf Anweisung von der Bank? Von solchen Spielern träumt jeder Trainer. Und was für viele unerreichbar ist, findet sich durchaus in ihrem Repertoire. Wenn diese junge Frau Hockey spielt, sieht die technisch anspruchsvolle Ballsportart ganz leicht aus. Ball und Schläger scheinen verwachsen, die weiße Kugel klebt immer am Brett. Es ist Zauberei.

Sie heißt Natascha Keller und ist derzeit Deutschlands wohl brillanteste Hockeyspielerin – 1999 wurde sie sogar zur Welthockeyspielerin des Jahres gewählt. Den Griff in die Trickkiste gibt es bei der 24-jährigen BWL-Studentin aus Berlin immer inklusive. Verteidigerinnen aus aller Welt können davon ein Lied singen. Seit drei Jahren ist sie die Topscorerin in der Bundesliga. Dies musste fast zwangsläufig so kommen, denn „Taschi“ ist familiär vorbelastet, fast wie mit einer Erbkrankheit: Sobald die ersten Schritte getan wurden, war der Krummstock dabei.

„Früher haben wir immer im Wohnzimmer Hockey gespielt. Mit Bruder Andi, Thorsten, Florian und Papa. Alles wurde weggeräumt, und das Klavier und der Schrank waren die Tore“, beschreibt Natascha die heimische Atmosphäre. Sie ist trotzdem ein Novum als einzige weibliche Vertreterin dieses Clans, der Deutschland seit Generationen repräsentiert. Das ist nicht der einzige kleine Unterschied: Bisher können nämlich nur die Männer der Keller-Familie die wirklich großen Erfolge vorweisen: Großvater Erwin gewann 1936 im Berliner Olympiastadion überraschend für das deutsche Hockey eine Silbermedaille. Sein Sohn Carsten, Nataschas Vater, sicherte sich ebenso überraschend 1972 gegen den haushohen Favouriten Pakistan olympisches Gold. Es folgte Carstens Sohn und Nataschas Halbbruder Andreas, der 1984 aus Los Angeles und 1988 aus Seoul Silber und 1992 aus Barcelona dann endlich Gold mit nach Hause brachte. Glücklicherweise für das deutsche Damenhockey und auch seinen Heimatverein, den Berliner Hockey Club, hat Carsten Keller ein zweites Mal geheiratet – und noch einmal zwei Kinder in die Hockey-Welt gesetzt: Natascha und Florian.

„Taschi“ ist als Spielerin bereits zu zwei Olympischen Spielen gefahren, nach Atlanta und nach Sydney. Beide Male kehrte sie ohne Medaille zurück, in Atlanta landete das Team auf Platz sechs, in Australien blieb es mit Rang sieben weit hinter den Erwartungen zurück. Eine herbe Enttäuschung. „Eigentlich brauche ich den Druck, um gut zu sein“, sagt Natascha Keller, an die aufgrund ihrer außerordentlichen Fähigkeiten besondere Ansprüche gestellt werden. Nach anfänglichen Zweifeln und Spielmüdigkeit aufgrund vieler Termine im Olympiajahr möchte die Berlinerin nun doch ihre Laufbahn im Nationalteam fortsetzen. „Es macht mir jetzt auch wieder richtig Spaß“, sagt die Mittelstürmerin, die sonst kaum etwas vom Spielen abhalten kann, nicht einmal Verletzungen. „Erst wenn die Knie aufgeschubbert sind und das Hemd schmutzig, weiß ich, dass es ein wichtiges Spiel ist“, beschreibt sie ihre Einsatzfreude.

Dank dieser ist auch ihr Club nicht ohne Erfolge: Der Berliner HC gewann in den vergangenen Jahren zahlreiche deutsche Meistertitel und wurde viermal Pokalsieger. In dieser Saison allerdings hat beides nicht geklappt, der BHC unterlag am Sonntag beim Club an der Alster mit 5:3 nach Siebenmeterschießen. Im Meisterschaftsendspiel vor zwei Wochen waren sie bereits am ewigen Rivalen Rüsselsheim gescheitert. Auch da hielt „Taschi“ ihren Mannschaftskameradinnen mit einem Tor zum Ausgleich in letzter Minute die Chancen offen. An der Seitenlinie stand ein ihr wohl bekannter Trainer: Berti Rauth– jedoch für Rüsselsheim. Er hat ihr dieses Mal lieber nichts zugerufen.

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